Farbdidaktik

Gestaltungsgrundlagen
Farbe / Form

"Unter tausend, die denken können, gibt es nur einen, der sehen kann."

Josef Albers

Was ist Farbe - was ist Form?

Der Naturwissenschaftler

"Objektiv darf der Gegenstand eine ganz allgemeine Teilnahme beanspruchen, denn F a r b e n sind es, was wir unmittelbar mit dem Auge, dem bei weitem wichtigsten Sinnesorgan wahrnehmen. Die Formen, Gestalten, Dinge, die wir zu sehen glauben, ergeben sich erst aus der Deutung der Farbflecken, welche das Gesichtsfeld des sehenden Auges erfüllen."

Wilhelm Ostwald

Der Künstler:

"Form ist alles zu Sehende, das mit innerem oder äußerem Auge zu Sehende. Sie ist das zu Sehende der Schwingung, der Bewegung, der gröbsten wie der unendlich differenzierten Materie."

"Die Form ist auch Farbe. Ohne Farbe keine Form, ohne Form keine Farbe. Form und Farbe sind eins."

Johannes Itten

Der Philosoph:

"Die Dinge, die wir wahrnehmen, werden uns sehr oft erst durch ihre Farben als Dinge greifbar. Wenn wir ihre Farben nicht ,an sich' sehen, so auch ihre Formen nicht. Farblose Dinge gibt es praktisch nicht. Wir unterscheiden sie gerade vorwiegend durch die Kontraste, die Farben, Schatten und Beleuchtungseffek-te miteinander erzeugen. Farben sind in vielen Fällen geradezu das Abzeichen der Dinge. Da sie je nach ihrer Qualität sehr verschiedene Stimmungen hervorrufen, da außerdem dieselben Dinge jeweils ver-schiedene Farben zeigen, werden sie uns auch zu selbstständigen Elementen, gleichsam selbst zu ,optischen Dingen'. Wir können die Dinge zusammen mit ihren Farben sehen, aber auch die Farbe für sich abstrahieren, nie aber umgekehrt die Dinge an sich ohne eine Farbe. Auch müssen wir berücksich-tigen, daß Farben nicht nur dinglich gebunden erscheinen, sondern - wie im Blau des Himmels oder im Regenbogen - ,frei', für sich selbst. Denken wir auch an den elementaren Farbwert in den Kompositio-nen der modernen Malerei."

Eckhard Heimendahl

Mogelpackung

So fing alles an ...

Welche Farbklänge lassen sich auf Verpackungen erkennen und wie wirken sie? Das Prinzip eines solchen Farbenklangs einmal herausgefiltert und auf einen anderen Farbbereich übertragen, läßt das entsprechende Produkt in einem völlig neuen Licht erscheinen.

Die Camel-Schachtel beispielsweise erinnert nach der Verschiebung aus dem Gelb-Orange-Rot- in den Gelb-Grün-Bereich kaum noch an die Zigarette für große Kamele, sondern verspricht vielmehr guten Atem durch Menthol-Bonbons.

Wohl doch alles nicht so einfach ...?

Die Wahrnehmung von Farbe wird durch verschiedene Gesichtspunkte bestimmt:

Die Physik erklärt das Phänomen Farbe keinesfalls, ist aber in den meisten Fällen an dessen Zustandekommen beteiligt. Nur selten treffen die Wellen, die von einer Lichtquelle ausgesandt werden, direkt in das Auge (Selbstleuchter), sondern treffen in den meisten Fällen zuerst auf die Oberfläche eines Körpers (daher Körperfarben) und werden dort zum Teil verschluckt. Der verbleibende Teil der Wellen, die wieder abgestrahlt werden, gelangen dann ins Auge.

Hier im Auge beginnt das Gebiet der Physiologie. Das Auge setzt die Wellen mit Hilfe bestimmter Rezeptoren um und leitet sie als Reize weiter an das Gehirn, wo sich zunächst einmal für jeden fast gleich die grundlegende Farbempfindung einstellt, wobei wir uns bereits im Gebiet der Psychologie bewegen.

Hier im Gebiet der Psychologie lassen sich verschiedene Ebenen unterscheiden, was daran deutlich wird, dass wir in den allermeisten Fällen zwar immer dieselben Farben sehen, dass diese Farben aber nicht immer in derselben Weise auf uns wirken. Die Wirkung, die sich beim Betrachter entfaltet, hängt zu einem großen Teil von seinen individuellen Assoziationen und Erfahrungswerten ab.

Assoziationen, Erfahrungswerte und den damit verbundenen Gewöhnungseffekt macht sich die Werbung zunutze um Farbe gezielt und mit bestimmten Intentionen einzusetzen. Ein flüchtiger Blick reicht schon um die Camel-Schachtel zu erkennen. Dieselbe Packung in einer anderen Farbigkeit - trotz desselben Farbgebungsprinzips- verhindert diesen Erkennungsprozess. Sie lässt einen zwar stutzen, bietet jedoch gleichzeitig einen neuen, ganz eigenen Reiz, der für jeden wiederum mit anderen Assoziationen und Wirkungen behaftet ist, aber sicher nicht mit solchen, die ihm ursprünglich von seinen Herstellern zugedacht wurden.

Farbnamen

Die unzähligen Farbempfindungen des Menschen mit Hilfe der relativ wenigen, allgemeinverständlichen und eigenständigen Farbwörter zu vermitteln, erscheint unmöglich. Aus diesem Grund haben sich in einigen Fachbereichen verschiedene Kennzeichnungssysteme entwickelt, wie z.B. die Farbcodes im ACC-System. Diese vermögen zwar viele Farbempfindungen zu erfassen, sind aber nicht mehr allgemeinverständlich. Gleichwohl vermag man auch mittels der Alltagssprache relativ präzise und umfangreiche Farbbenennungen vorzunehmen. Als Grundlage dient hierbei ein Differenzierungssystem, das im Wesentlichen auf der von Ewald Hering entwickelten Farbsehtheorie basiert. Dieses System gliedert sich im Einzelnen folgendermaßen:

Weder-Noch-Farben

Die Grundfarben werden durch abstrakte, einsilbige Farbwörter beschrieben. Nach Hering sind dies: Grün, Gelb, Rot, Blau, Schwarz und Weiß. Diese Farben sind als WederNochFarben definiert. Danach ist z. B die Grundfarbe Gelb das Gelb, das empfindungsgemäß weder grünlich noch rötlich ist.

Auch Grau und Braun zählen zur Gruppe der einsilbigen, abstrakten Farbwörter und weisen auch einen relativ eigenständigen Farbcharakter auf, sind aber keine WederNochFarben.

Sowohl-als-auch-Farben

Weiter lassen sich die Farben benennen, die empfindungsgemäß jeweils Anteile aus zwei Grundfarben enthalten, z.B. Blaugrün oder Violett. Diese Farben sind SowohlalsauchFarben.

"lich"-Variante

Ist in einer Farbe eine Grundfarbe nur wenig vorhanden, so verknüpft man das Grundfarbwort mit dem lichSuffix. Eine Farbe wird dann z.B. als grünlich oder bläulich bezeichnet.

Konkret vergleichende Farbwörter

Zu diesen Wörtern zählen z.B. Violett und Orange. Letztere ist die Farbe, die zwischen Rot und Gelb liegt. Bisweilen werden mit diesen Namen auch die Verdunklungen und Aufhellungen benannt. So bezeichnet etwa Lila die Aufhellung von Violett und Olive die Verdunklung von Gelb.

Weitere Farbbenennungen

Farbnamen lassen sich auch miteinander verknüpfen, wie etwa Rotbraun oder Gelborange. Unmöglich hingegen sind die Bezeichnungen Rotgrün oder Gelbblau, da solche Farben nicht existieren. Das Gegenfarbenmodell von Hering zeigt, dass sich diese Farben gegenseitig in der Empfindung ausschließen.

Neben der Namensverknüpfung lassen sich die Farben auch zusätzlich noch durch Adjektive näher bestimmen, die Aussagen über Buntheitsgrad, Helligkeit und die psychologische Wirkung treffen. Gerade letztere, zu denen Ausdrücke wie warm, kalt, scharf, stechend, knallig, samtig, etc. gehören, sind für den Designer in Verkaufsgesprächen unerlässlich um überzeugend für sein Produkt zu werben.

Mit Hilfe dieses rein sprachlichen Differenzierungssystems sollten Missverständnisse in der Unterhaltung über Farbe zumindest stark eingeschränkt werden können. Um Farben jedoch exakt zu vermitteln, ist der Rückgriff auf standardisierte Farbmuster unerlässlich.

Simultankontrast

Der Simultankontrast entsteht durch das gleichzeitige Betrachten zweier aneinandergrenzender Farben. Hier-bei werden die Farbqualitäten durch das jeweilige Umfeld der Nachbarfarbe beeinflußt. Die Farben sehen anders aus als in einer anderen Umgebung. Dies ist ein überwiegend physiologisches Phänomen, da sich der Wahrnehmungsprozeß im Auge abspielt und nicht von der Physik (z.B. von der Lichtstrahlung) oder von den chemischen Eigenschaften der beteiligten Farbstoffe gesteuert wird.

Simultankontrastgesetz

Beim Simultankontrast werden die bereits vorhandenen Unterschiede zwischen den Farben noch verstärkt. Diese Kontrastverstärkung kann entlang der drei Farbattribute Buntton, Helligkeit und Sättigung erfolgen.

Helligkeitsverschiebung

Auf dunklerem Untergrund wirken die Farben heller und auf hellerem Unterund dunkler. Der Hell-Dunkel-Kontrast ist sehr dominant und kann sogar bewirken, daß sich die Helligkeitsverhältnisse von zwei Farben umkehren. So kann das hellere von zwei im direkten Vergleich gesehenen Graus auf Weiß dunkler erscheinen als das dunklere Grau auf Schwarz, das dann heller erscheint.

Sättigungsverschiebung

Auf stark gesättigtem Untergrund wirken die Farben trüber / stumpfer und auf Untergründen von geringer Sättigung wirken die Farben kräftiger. So wirkt beispielsweise ein leicht vergrautes Grün auf einem leuchtenden Grün noch vergrauter, während sein Grüncharakter auf einem Graugrün stärker zur Geltung kommt.

Bunttonverschiebung

Eine Farbe wird von der benachbarten Farbe tendenziell immer in Richtung der Komplementärfarbe dieser benachbarten Farbe verschoben. Um diesen Effekt deutlich beobachten zu können, sollten die beteiligten Farben möglichst einen einheitlichen Sättigungs- und Helligkeitsgrad haben. Besonders deutlich tritt die Bunttonverschiebung bei "Mischfarben" hervor. Bei der Kombination von Komplementärfarben, seien diese auch nur angenähert, tritt statt einer Bunttonverschiebung eine gegenseitige Steigerung in der Sättigung (Sättigungsverschiebung) ein, da bezüglich des Bunttons bereits der größte Kontrast erreicht ist.

Eine deutliche Bunttonverschiebung zeigt das Beispiel der "8". Auf dem türkisfarbenen Untergrund dominiert klar der Rotanteil im Purpur, indem sich der Komplementärkontrast Rot-Grün verstärkt, wohingegen auf dem orangefarbigen Untergrund der Blauanteil im Purpur vorherrscht, da hier der Gelb-Blau-Kontrast verstärkt wird. Im Gegenfarbenmodell kann die Bunttonverschiebung wie folgt abgelesen werden.

Die Farbverschiebungen folgen der Systematik jedoch nicht immer gleich stark. Sie variieren von Farbbereich zu Farbbereich.

Für den Gestalter eröffnen diese Beispiele, wie wichtig es ist, Farben immer auf dem entsprechenden Untergrund zu bewerten. So lassen sich beispielsweise dunkle Farben besser auf dunklem und helle Farben besser auf hellem Untergrund voneinander unterscheiden, da der Kontrast von hell zu hell und dunkel zu dunkel nur gering ist und die Farben optisch nicht so stark zusammenzieht wie helle Farben auf dunklem, oder dunkle Farben auf hellem Untergrund.

Farbkreisel

Während es sich bei der subtraktiven Mischung nicht um eine Mischung von Farben, sondern lediglich um eine phyikalische Vermengung von Farbstoffen handelt, werden bei der additiven Mischung Farbeindrücke gemischt, weshalb man in diesem Fall auch von einer echten Farbenmischung spricht. Die additive Mischung erfolgt im Auge und kann mit verschiedenen Techniken erzeugt werden: Die erste Möglichkeit besteht in der Projektion farbiger Lichter auf dieselbe Netzhautstelle, wo die Farbeindrücke zu einem einheitlichen Gesamteindruck verschmelzen. Zudem addieren sich hier die Helligkeiten der beteiligten Farben. Auch kleine verschiedenfarbige Flächenstücke verschmelzen bei entsprechendem Abstand zu einer Farbfläche, da das Auge die kleinen Flächen nicht mehr auflösen kann. Bei dieser sogenannten optischen Mischung stellt sich jedoch nur ein ausgemittelter Helligkeitseindruck ein, da hier keine doppelte Strahlungsleistung auf ein und die-selbe Netzhautstelle trifft wie im Fall der Lichtmischung. Ähnlich verhält es sich bei der Farbkreiselmischung, der dritten Möglichkeit der additiven Mischung. Im Gegensatz zur optischen Mischung, wo die Farben räumlich nicht mehr voneinander unterschieden werden, können die Farben bei der Farbkreiselmischung, aufgrund der Umdrehungsgeschwindigkeit, zeitlich nicht mehr getrennt wahrgenommen werden und verschmelzen auf der Scheibe des Kreisels zu einem eintheitlichen Farbeindruck. Das Mischergebnis beim Farbkreisel ist in der Regel etwas heller als das der subtraktiven Mischung. Den signifikantesten Unterschied zeigt die Mischung von Gelb und Blau, die im einen Fall Grün, im andern Fall Grau ergibt.

Bezold-Effekt

Im Jahre 1874 veröffentlichte der deutsche Physiker und Meteorologe Wilhelm von Bezold seine "Farbenlehre im Hinblick auf Kunst und Kunstgewerbe", in der er unter anderem, wie am nebenstehenden Beispiel, die Farbverschiebung in Abhängigkeit von der Form beschreibt.

Genau wie der Simultankontrast ist auch der Bezold - Effekt ein physiologisches Phänomen, bei dem eine Farbverschiebung aufgrund der Aneinandergrenzung verschiedener Farbflächen eintritt. Der Simultankontrast ist am besten bei kleinem Infeld und großen Umfeld zu beobachten, indem sich vor allem die Farbe des Infelds von der Farbe des Umfelds optisch entfernt. Der Kontrast wird verstärkt. Der Bezold - Effekt hingegen tritt ein, wenn ein ausgewogenes Flächenverhältnis von Figur und Grund herrscht. Dann bewegen sich die Farben nicht voneinander weg, sondern nähern sich optisch einander an. Die Annäherung entspricht in etwa den Gesetzen der additiven Mischung. Mit den Worten von Bezold: "... die beiden Töne erleiden eine Veränderung in dem Sinne, als ob ihnen jeweils von der Contrastfarbe des anderen Tons beigemischt würde." Besonders gut ist dieser Effekt bei einem Streifenmuster zu beobachten.

So wirkt etwa in der Farbkombination Rot - Gelb das Rot gelblich und das Gelb rötlich. Zudem steigern sich die beiden Farben gegenseitig in ihrer Leuchtkraft. Bei Komplementärfarben hingegen tritt die Leuchtkraft zurück, die beiden Farben wirken dunkler und vergrauter. Ein Beispiel für diesen Vergrauungseffekt liefert die Kombination Gelb - Blau.

Farbenraum

Die "Farbe" wird als grundlegendes Gestaltungsmittel geschätzt. Da stellt sich fast automatisch die Frage nach der Farbengesamtheit, die von Experten unterschiedlich beantwortet wird. Rein zahlenmäßig ausgedrückt variieren die Angaben von einer halben bis zu zehn Millionen Farben oder Farbnuancen, die ein normal farbentüchtiger Mensch gerade noch eben unterscheiden kann. Mit dieser immensen Anzahl an Farben, selbst wenn sie auf ein- bis zweitausend reduziert wird, steht dem Gestalter ein riesiges Repertoire zur Verfügung, über das erst einmal ein Überblick gewonnen werden will.

Die "Farbenwolke"

Die Gesamtheit der Farben läßt sich als eine amorphe Wolke vorstellen, in der die Farben kontinuierlich ineinander übergehen und in der die einzelnen Farben grob ihren Platz in Relation zu den anderen Farben einnehmen: unten befinden sich die dunklen, oben die hellen, im Innern die vergrauten und außen die bunten Farben.

Strukturierung der Farbenwolke

Um einen sinnvollen Zugriff auf die Farbengesamtheit zu haben, ist es zunächst notwendig, eine möglichst repräsentative Auswahl daraus zu treffen und diese nach bestimmten Gesichtspunkten zu ordnen, wobei man sich an der vorgegebenen Ausrichtung der Farben, wie sie in der Farbenwolke vorliegt, orientieren kann. Man bringt sozusagen Struktur in die Farbenwolke. Um das dreidimensionale Gebilde der Farbenwolke zu strukturieren, braucht man drei voneinander unabhängige Ordnungsmerkmale, mit denen jeder Farbe im Farbenraum ein fester Ort zugewiesen werden kann,

Ordnungsmerkmale

Das hervorstechendste Farbmerkmal ist der Buntton, nach dem sich eine bestimmte Farbe in die Gruppe der roten, gelben, blauen, grünen, oder violetten Farben usw. zuordnen läßt. Die Bunttöne bilden eine in sich zurücklaufende Folge, die den meisten als Farbenkreis bekannt ist. Mit Hilfe des Farbenkreises läßt sich die Verwandtschaft der Bunttöne untereinander darstellen. Es darf hierbei aber nicht übersehen werden, daß jeder Buntton keine einzelne, sondern eine ganze Gruppe von Farben repräsentiert, - eben alle Abstufungen dieses Bunttons.

Diese Abstufungen lassen sich jeweils in einer Ebene anordnen, die auf der einen Seite von der Schwarz-Weiß-Achse und auf der anderen Seite von der reinsten bunten Farbe eines jeweilgen Bunttons begrenzt ist. Von der unbunten Schwarz-Weiß- oder Grauachse bis hin zur reinen Farbe steigt die Sättigung oder Buntheit der Farben an. Vom Niveau des Schwarz bis hin zum Niveau des Weiß steigt die Helligkeit der Farben an.

Farbkörper und Farbsystem

Allen Bunttonebenen gemeinsam ist die Grauachse. Setzt man nun alle Bunttonebenen in der Reihenfolge des Farbenkreises an der Grauachse aneinander, so erhält man die räumliche Gestalt eines Farbenkörpers. In unserem Fall einen schiefen Doppelkegel, in welchem die unterschiedliche Helligkeit der reinen bunten Farben berücksichtigt wurde. Reines Gelb ist beispielsweise heller als reines Blau. Eine solche, zunächst nur rein gedankliche Ordnung der Farben, die später auch in Farbmustern realisiert werden kann, bezeichnet man als Farbsystem.

Inversion

Nachdem jetzt die Gesamtheit der Farben mit ihrer Ausdehnung und ihren inneren Zusammenhängen bekannt ist, bleibt immer noch die alles entscheidende Frage, welche der beinahe unendlich vielen Farben für eine bestimmte Aufgabe auszuwählen sind. Ist der Gestalter bei seinen Farbentscheidungen allein gelassen, oder gibt es eine Harmonielehre der Farben?

Geht man dieser Frage empirisch nach und läßt eine größere Anzahl von Versuchspersonen ihre als harmonisch empfundenen Farbkombinationen aus einer noch wesentlich größeren Anzahl von Farbmustern heraussuchen, dann gibt es kaum Übereinstimmungen. Es lassen sich bestenfalls vage Trends in der jeweiligen Modefarbigkeit erkennen. Läßt man jedoch disharmonische Farbzusammenstellungen wählen, dann zeigen sich erstaunliche Übereinstimmungen in der Art der Farbwahl. Von den meisten Menschen werden nämlich spontan solche Farben als disharmonisch oder abstoßend empfunden, die eine Umkehrung ihrer Eigenhelligkeitsverhältnisse aufweisen. Gelb etwa ist stets heller als Violett. Kehrt man nun die Helligkeiten der beiden Farben um in ein aufgehelltes Violett und ein verdunkeltes Gelb, sprich in Lila und Olive, dann erhält man eine Farbkombination, die von den meisten als häßlich empfunden wird. Eine solche Umkehrung der Eigenhelligkeitsverhältnisse bezeichnet man als Inversion.

Aus Inversionen resultieren viele interessante und oft ungewohnte Farbzusammenstellungen, die sich gut eignen um die Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich ziehen. Sie dürfen deshalb von der Gestaltung keinesfalls ausgeschlossen werden.

Überhaupt ist jede Farbkombination erlaubt und kein Gestalter sollte sich diesbezüglich durch Regeln oder Vorgaben einschränken lassen. Vernünftige Hilfen wird er meist vergeblich suchen, denn die müssen bei der ungeheuerlichen Anzahl der Farben auch immer vage und letztendlich viel zu allgemein bleiben.

Statt nach Vorgaben oder Regeln zu suchen, sollte jeder, der gestalterisch künstlerisch arbeitet, das in ihm bereits angelegte Farbrepertoire - etwa seine Lieblingsfarben, oder ihm vertraute Farbklänge - nutzen und beständig ausbauen. Hilfen hierbei sind ein aufmerksames und intensives S e h e n, sowie ein bewußtes und gezieltes Miteinbeziehen von Erkenntnissen aus anderen Bereichen, speziell der Naturwissenschaft. Das dort erworbene Wissen, zu dem auch die Kontrastphänomene, die additive und subtraktive Mischung, der Aufbau des Farbenraums, die Inversion usw. zählen, können vom Gestalter zu seinem Vorteil genutzt werden, wenn er sich ihnen nicht verschließt.

Das Wissen und das Sehen bedingen einander. Das Sehen relativiert das Wissen. Umgekehrt läßt das Wissen einen viel genauer sehen.

Rapport

Anders als bei den Farben, deren Wahrnehmung durch die Physiologie Grenzen gesetzt sind, gibt es keine begrenzte Gesamtheit der Formen. Die Vielfalt der Formen läßt sich ausgehend von bestimmten Grundelementen beliebig ausdehnen und ist damit unbegrenzt. Im bildnerischen Bereich geht man bei der Entwicklung der Formen gewöhnlich von den Grundelementen Punkt, Linie und Fläche aus, die auf jede mögliche Art und Weise miteinander kombiniert werden können, vom intuitiven, spontanen, künstlerischen Selbstausdruck, bis hin zur rational durchdachten, wiederholbaren und systematischen Konstruktion.

Zu dieser letztgenannten Art von Formenrepertoire gehört auch der Rapport, ein ständig sich wiederholendes Muster, das im Bereich der angewandten Gestaltung bekannt sein sollte und zu dessen Erstellung die Kenntnis bestimmter Prinzipien benötigt wird, zu denen in erster Linie die Verschiebung, die Drehung und die Spiegelung zählen.

Es ist wieder Wilhelm Ostwald, der sich schon in der wissenschaftlichen Ordnung der Farben hervorgetan hat und der nun auch mit der ihm eigenen wissenschaftlichen Akribie, Ordnung in die Welt der Formen bringt. Er entwickelt die oben genannten Prinzipien und erstellt damit verschiedene Arten von Rapports. Auch Ostwald geht hierbei vom Punkt über die Linie zur Fläche, wo-bei er zunächst, wie nebenstehend, aus einem regelmäßigen Punktraster eine bestimmte Linienform entwickelt, die dann in verschiedenen weiteren Schritten durch Drehung, Verschiebung und Spiegelung zu einem regelmäßigen und flächendeckenden Muster, einem Rapport, ausgedehnt wird.

Figur und Grund

Während die Farben je nach Umfeld und Nachbarschaft sehr verschieden aussehen können und das Erkennen der Unterschiede ein gewisses Maß an Sehtraining erfordert, erscheint die Wahrnehmung von Formen auf den ersten Blick viel einfacher und klarer vonstatten zu gehen, als die der Farben. Doch der Schein trügt auch hier, denn die Klarheit und Bestimmtheit, mit der viele Formen hervortreten, läßt uns vieles, ja fast das meiste ü b e r sehen.

In der allseits bekannten Figur eines Mühlespiels etwa sehen wir drei umeinander angeordnete Quadrate, die durch ein zentriertes Achsenkreuz miteinander verbunden sind. Aber eigentlich ist weit mehr vorhanden, nur bleibt es unserer selektiven Wahrnehmung verborgen. Da wären z.B. zahlreiche andere asymmetrische Figuren, zu denen auch die vier nebenstehenden zählen, die nicht sofort ins Auge fallen, sondern erst gesucht werden müssen, ganz zu schweigen von den Flächen des Untergrundes, die durch die Formen abgegrenzt werden.

Obwohl unser Gesichtsfeld visuell stets komplett ausgefüllt ist, nehmen wir nicht alles wahr, denn unsere Wahrnehmung organisiert das Gesehene ohne unser Zutun und trennt es in aktiv und passiv Gesehenes, man könnte auch sagen in Figur und Grund.

Ist das Verhältnis von Figur und Grund ausgewogen, wie beim Streifenmuster des Zebras, einem der eher seltenen Beispiele aus der Natur, dann kann die Wahrnehmung umspringen. So läßt sich nicht mit Bestimmtheit sagen, ob Zebras nun weiße oder schwarze Streifen haben. Je nach Blickwinkel haben weiße Zebras schwarze und schwarze Zebras weiße Streifen !

Form und Farbe

Es waren die Gestaltpsychologen, die sich zur Aufgabe gesetzt hatten, zu erforschen, wie die Organisation des Gesehenen im Wahrnehmungsvorgang funktioniert. Das Ergebnis sind eine Reihe von Gestaltgesetzen, die interessante Einblicke in diesen Prozeß liefern. Doch bei der ganzen Komplexität des Wahrnehmungsvorgangs muß es auch bei Einblicken bleiben.

Schon das vergleichsweise simple nebenstehende Beispiel macht dies deutlich. Zu dem klar gegliederten Liniengefüge dieses Ostwald'schen Rapports von der vorhergehenden Seite, tritt hier nun als ein weiteres Element die Farbe. Es handelt sich in allen drei Fällen um dieselben drei unbunten Nuancen, die auch stets dieselbe strenge regelmäßige Verteilung erfahren, nur eben jeweils in anderen Elementen des Rapports auftauchen. Die Ergebnisse sind erstaunlich verschieden und auch kaum vorhersagbar. Das Zusammenspiel von Farbe und Form führt in allen drei Fällen zu ganz neuen figürlichen und räumlichen Konstellationen, aus der jedes Beispiel seine eigene, besondere Charakteristik bezieht.

Es soll hier jedoch nicht der Eindruck entstehen, daß Farben und Formen völlig getrennte Dinge seien. Im Gegenteil, schon in den einleitenden Zitaten von Ostwald, Itten und Heimendahl wurde auf die sehr enge Zusammengehörigkeit von Farbe und Form, die in den meisten Fällen nicht voneinander zu trennen sind, hingewiesen. Wir nehmen fast ausschließlich Farben wahr, die von Formen begrenzt sind und es gibt keine Form ohne Farbe, denn eine formgebende Linie etwa besteht aus einem langen, schwarzen Band, also einer sehr schmalen Farbfläche.

Die grundlegenden bildnerischen Mittel Farbe und Form sind keine toten Elemente, die der Gestalter nach freiem Belieben zusammenfügen kann, sondern sehr lebendige und bisweilen auch geheimnisvolle Kräfte, deren Zusammenspiel ein Leben lang anhand der eigenen gestalterischen Arbeit von mal zu mal weiter erforscht werden kann. Alles, was man dazu braucht, sind offene Augen.


Literatur

  • Gerstner, Karl: Die Formen der Farben: Über die Wechselwirkung der visuellen Elemente. Frankfurt 1986
  • Gerstner, Karl: Die Formen der Farben: Über die Wechselwirkung der visuellen Elemente. Frankfurt 1986
  • Kornerup, A und Wanscher, J.H.: Taschenlexikon der Farben. 3. unveränderte Auflage, Göttingen 1981
  • Metzger, Wolfgang: Gesetze des Sehens. Frankfurt 1953
  • Richter, Manfred: Einführung in die Farbmetrik. 2. Auflage, Berlin / New York 1981
  • Rock, Irvin: Wahrnehmung. Vom visuellen Reiz zum Sehen und Erkennen. Heidelberg 1985
  • Schmuck, Friedrich: Drei Farbsysteme. In: Baumeister 3 (1994) S. 44
  • Schwarz, Andreas: Psychologische Farbsysteme von Hering bis NCS. In: Die Farbe 38 (1991/92) S. 141
  • Seitz, Fritz: Thema Farbe. (kostenlos zu beziehen über Kast und Ehinger in Stuttgart), oder in: Visuelle Kommunikation. Ein Design Handbuch. Hrsg. von Stankowski, A. und Duschek, K., Berlin 1989
  • Seitz, Fritz: Farbe und Entwurf. In: Visuelle Kommunikation. Berlin 1989
  • Seitz, Fritz: Farbirritationen. (kostenlos zu beziehen über Kast und Ehinger in Stuttgart). Stuttgart 1989
  • Wiese, Dorothee: Farbnamen. In: Die Mappe 11 (1992) S. 58
  • Farbsysteme - Mustervorlagen
  • ACC
  • (Acoat Color Codification System). Farbenfächer und Musterkoffer, Sikkens GmbH, Werner von Siemens Str. 11, 31515 Wunstorf
  • NCS
  • (Natural Color System). Atlas, Fächer und EinzelmusterEuropäisches Color Centrum GmbH, Burggrafenstr. 2 a, 10787 Berlin
  • RDS
  • (RAL Design System). Atlas, Fächer und Einzelmuster, RAL, Siegburgerstr. 39, 53757 St. Augustin