Farbdidaktik

„Goethes Farbendreieck“ - ein didaktisches Phantom

Das neunteilige Farbendreieck mit den sogenannten Primär-, Sekundär- und Tertiärfarben (Abb. 1) ist als „Goethesches Farbendreieck“ bekannt geworden, obwohl Goethe selbst nie ein solches Farbendreieck erstellt hat. Bis heute jedoch findet man es noch in diversen Lehrbüchern unter dieser Bezeichnung.

Im vorliegenden Beitrag soll geklärt werden, wer der eigentliche Urheber dieses Dreiecks ist und wann, wie und unter welchen Umständen dieses Schema zum „Goethe Farbendreieck“ wurde. Daran anknüpfend gibt es einige Hinweise zu seiner didaktischen Funktion und Nutzung im Laufe der Zeit sowie eine kurze Würdigung einer vergessenen Farbdidaktikerin.

Abb. 1: Eine Tafel zur Farbenlehre von Anton Anděl, die um 1880 erschien, enthält neben anderen Farb-schemata wie Farbenkreis, Farbenpaaren und Farbtriaden, auch die bislang früheste bekannte farbig dargestellte Version des neunteiligen Far-bendreiecks, das neben den Grund- und Sekun-därfarben (mittig und links unten) auch noch die Tertiärfarben enthält (rechts unten), aus [1]. Die Abbildung wurde freundlicherweise von Ursus Books Ltd., New York zur Verfügung gestellt.

Urheberschaft

Das Prinzip, ein gelbes, ein blaues und ein rotes Pigment an den Ecken eines gleichseitigen Dreiecks zu platzieren, um damit systematisch Mischungen zu generieren, geht auf den deutschen Gelehrten und Aufklärer Tobias Mayer (1723 – 1762) zurück. Zwischen je zwei der drei Grundfarben sieht Mayer elf Mischungen vor, so dass sein 1758 veröffentlichtes Farbendreieck insgesamt Orte für 91 Farben enthält (Abb. 2). Von diesem Basistriangel aus denkt sich Mayer nochmal so viele Stufen nach Weiß und nach Schwarz, so dass sein Farbsystem eine (nicht ausgeführte) Doppelpyramide mit 819 Farben bildet [2, S. 72ff].

Abb. 2: Farbendreieck von Tobias Mayer (1758), aus [2, S. 73]

Durch seine namhaften Nachfolger Georg Christoph Lichtenberg (1742 – 1899) und Johann Heinrich Lambert (1728 – 1777) bekannt gemacht, tauchte Mayers Farbsystem – zumeist reduziert auf das zentrale Farbendreieck – vom Ende des 18. bis ins zweite Drittel des 19. Jahrhunderts hinein in zahlreichen Enzyklopädien auf. Waren schon Lichtenberg und Lambert von der Anzahl der Mischstufen bei Mayer abgewichen, so variieren auch die exemplarischen Angaben in den Enzyklopädien in dieser Hinsicht. Im Großen Conversations-Lexikon von 1847 etwa ist ein Mayersches Dreieck abgebildet (Abb. 3), das nur vier Stufen zwischen den Grundfarben aufweist und damit insgesamt 33 Mischungen vorsieht [3, S. 841], während die Autoren des Handwörterbuchs der reinen und angewandten Chemie von 1848 beispielhaft mit hundert Stufen rechnen und so zu insgesamt 4950 Farben im Dreieck gelangen [4, S. 30]. Im Universal-Lexicon der Vergangenheit und Gegenwart von 1858 findet sich zum Eintrag „Farbendreieck“ folgende Definition: „eine Zusammenstellung der Farben nach mathematisch-physischem Princip u. zwar auf dem Grundsatz Tob. Mayers, daß aus Roth, Gelb und Blau sich, durch Mischung in verschiedenen Verhältnissen, alle Farben in allen Nüancen darstellen lassen. Eine weiße Fläche, von Form eines gleichseitigen Dreieckes, wird in willkürlich viele einzelne gleiche Dreiecke getheilt. In die Dreiecke der 3 Winkel werden die Hauptfarben, in jedes eine aufgetragen, in die übrigen in jedes eine Mischung jener Farben …“ [5, S. 115]. Pierers Definition macht deutlich, dass es beim Mayerschen Farbendreieck nicht auf die Zahl der Zwischenstufen ankommt, sondern auf das im Dreieck zum Tragen kommende Mischprinzip basierend auf drei Grundfarben Gelb, Rot und Blau innerhalb einer festgelegten Geometrie. Die Anzahl der dazwischen geschalteten Mischstufen kann dabei willkürlich gewählt werden.

Abb. 3: Farbendreieck aus Meyers Großem Conversations-Lexikon (1847), aus [3, S. 841]

Der erste, der dieses Dreieck extrem reduziert, indem er zwischen Gelb-Rot, Rot-Blau und Blau-Gelb jeweils nur eine Mischung annimmt und damit das Dreieck auf insgesamt neun Farben beschränkt, ist der badische Gewerbelehrer Guido Schreiber (1799 – 1871). Das in seiner 1868 publizierten Farbenlehre [6] abgedruckte Farbendreieck (Abb. 4) vereint die Mischgeometrie Mayers mit der auf den Begriffen Primär-, Sekundär- und Tertiärfarben basierenden Mischsystematik des englischen Chemikers George Field (1777 – 1854). In Übereinstimmung mit Field [7, S. 72 – 147] nennt Schreiber die drei Primärfarben Gelb, Rot, Blau, die Sekundärfarben Orange, Grün, Violett und die Tertiärfarben Rotbraun (Russet), Citrin, Olive. Schreibers stark reduziertes Farbendreieck verbindet die Vorzüge einer Mischsystematik mit den bekannten Farbbeziehungen in Farbenkreisen, da sich auch im Dreieck die sogenannten komplementären Farben anschaulich gegenüber liegen. Entsprechend bilden auch die Sekundär- zu den Tertiärfarben laut Schreiber sogenannte „subkomplementäre“ Beziehungen [6, S. 30]. Mit diesem Schema ist Schreiber der Urheber des Farbendreiecks, das später Goethe zugeschrieben wird.

Abb. 4: Neunteiliges Farbendreieck von Schreiber (1868), aus [6, S. 30]

Zuschreibung zu Goethe

Vom „Goetheschen Farbendreieck“ ist keine Rede vor 1930. Dann erscheint die stark von ihrem Lehrer Adolf Hölzel (1853 – 1934) beeinflusste Farbenlehre der Künstlerin Carry van Biema (1881 – 1942), die auch Malkurse gab, Hölzels Lehre unterrichtete und publizierte. In ihrem Werk mit dem Titel Farben und Formen als lebendige Kräfte stellt van Biema nicht nur Hölzels Lehre dar, sondern auch Grundzüge der Goetheschen Farbenlehre, allerdings so, wie van Biema sie durch Hölzel vermittelt versteht [8, S. 68 ff]. Im Kapitel Einige Hauptbegriffe aus Goethes Farbenlehre tauchen somit neben Goethes Urphänomen mit dem Urkontrast Gelb-Blau (Abb. 5, Taf. I) auch überwiegend Elemente auf, die gar nicht in Goethes originaler Farbenlehre [9] zu finden sind, wie z.B. Schopenhauers Äquivalente (Abb. 5, Taf. II), ein „Goethescher Farbenkreis“, der Rot, statt Purpur enthält (Abb. 5, Taf. I), die Begriffe Primär-, Sekundär- und Tertiärfarben und nicht zuletzt auch das neunteilige Farbendreieck (Abb. 5, Taf. IV).

Ähnlich wie Schreiber hebt auch van Biema die im Farbendreieck sich gegenüber liegenden Komplementärfarben einschließlich der dazwischen liegenden Tertiärfarben hervor (Abb. 5, Taf. IV). Letztere fasst sie jedoch anders als Schreiber als Übergänge zwischen den Komplementärfarben auf und nicht als Subkomplemente zu den Sekundärfarben. Van Biemas neuer Beitrag zum neunteiligen Farbendreieck besteht darin, dass sie bestimmten Farbbereichen des Dreiecks in freier Interpretation im Sinne der sinnlich-sittlichen Wirkung von Goethe bestimmte Wirkungen zuordnet wie leuchtend, ernst, mächtig, heiter und melancholisch (Abb. 5, Taf. III). In dieser Form hat sich das Schema als sogenanntes „Goethe Farbendreieck“ durch van Biemas Werk etabliert.

Abb. 5: Vier Tafeln aus van Biemas Werk von 1930 [8] mit Abbildungen, die dort Goethes Farbenlehre zugeordnet sind (links oben Tafel I, oben rechts Tafel II, unten links Tafel III, unten rechts Tafel IV). Die Farben sind getrübt, weil ein vergilbtes Cellophanpapier über den Tafeln liegt, das die Beschriftung der Abbildungen trägt.

Van Biema ist in ihrem gesamten Werk, auch in dem Teil, der Goethe betrifft, sehr stark Adolf Hölzel verpflichtet. Auch Hölzel sieht die Grundlagen der Farbenlehre bei Goethe, bedient sich jedoch zur konkreten Darstellung von Farbbeziehungen verschiedener Farbmodelle, deren Autoren er auch angibt. So bezieht er sich beispielsweise bei den Farbenkreisen auf Bezold, bei den Äquivalenten auf Schopenhauer und schließlich ist: „… aus der sehr empfehlenswerten Schreiberschen Farbenlehre […] dazu das Farbendreieck mit den primären, sekundären und tertiären Verbindungen …“ [10, S. 14] entnommen, das dann bei van Biema Goethe zugeordnet wird.

Wie van Biema zu dieser Zuordnung kommt, lässt sich nicht endgültig klären. Es ist möglich, dass Hölzel, der ein starres Theoriegebäude strikt ablehnte und Farbmodelle in erster Linie flexibel und situationsbezogen zur Erklärung von Farberscheinungen und -wirkungen in Bildern heranzog [11, p. 18 ff], das Farbendreieck, das zudem in seinen Vorträgen und Vorlesungen auftauchte (Abb. 6), auch im Zusammenhang mit Goethe erwähnte, dessen Forschungen und Ausführungen er als Grundlage der gesamten Farbenlehre ansah. In van Biemas Buch jedenfalls findet Hölzel seine Gedanken als erstarrte Theorie vor, die deshalb nicht in seinem Sinne ist. Er soll van Biemas Werk aus diesem Grunde auch als „Malanleitung für Dienstmädchen“ bezeichnet haben [13, S. 39]. Als Fakt bleibt jedoch bestehen, dass das neunteilige Farbendreieck, das ursprünglich von Schreiber stammt, 1930 von Carry van Biema durch ihre Einordnung in das entsprechende Buchkapitel von nun an Goethe zugeschrieben wird.

Abb. 6: Vier Tafeln aus van Biemas Werk von 1930 [8] mit Abbildungen, die dort Goethes Farbenlehre zugeordnet sind (links oben Tafel I, oben rechts Tafel II, unten links Tafel III, unten rechts Tafel IV). Die Farben sind getrübt, weil ein vergilbtes Cellophanpapier über den Tafeln liegt, das die Beschriftung der Abbildungen trägt.

Rezeptionsgeschichtlicher Hintergrund

Es ist bemerkenswert, dass diese fehlerhafte Zuschreibung nicht nur nicht sofort aufgedeckt wurde, sondern sogar bis heute Bestand hat. Die Ursprünge und Ursachen dafür sind im kulturellen und geistesgeschichtlichen Umfeld der 1930er und 1940er Jahre zu suchen.

Ein wesentlicher Einflussfaktor ist das Erscheinen und die weite Verbreitung der Ostwaldschen Farbenlehre seit den 1920er Jahren. Der Chemiker und Nobelpreisträger Wilhelm Ostwald (1853 - 1932) erarbeitet 1917 ein dreidimensionales Farbsystem, das komplett mit Farbmustern besetzt ist. Die mit industriellen Anilinfarben hergestellten und mit einem Buchstaben-Zahlencode eindeutig gekennzeichneten Muster betrachtet Ostwald als Farbnormen. Er belässt es jedoch nicht bei diesem für Industrie und Gewerbe durchaus als nützlich erachteten Kommunikationsmittel, sondern leitet aus seinem Farbsystem weiterhin eine Farbenharmonielehre ab, für die er bei Künstlern und Schulen wirbt und dafür auch zahlreiche Materialien zur Verfügung stellt wie entsprechend aufbereitete Literatur, Farbatlanten und Farbkarten in verschiedenster Ausführung sowie direkt anwendbares Farbmaterial in Form einer Pulverorgel mit allen Farben seines Systems als Farbtabletten sowie einen auf sein System abgestimmten Schulmalkasten.

Mit Ostwalds Werk bekommt der Begriff „Farbenlehre“, bzw. „Farbtheorie“ eine neue Qualität in Kreisen der Künstler und Kunstlehrer. Bis in die 1920er Jahre begnügen sich die meisten Künstler und auch die Kunstlehrer mit der seit über einem Jahrhundert zum Allgemeingut gewordenen Theorie von den drei Grundfarben Gelb, Rot und Blau, die jedoch beim Mischen nur als lose Orientierung genutzt wird. Entscheidend sind die besonderen Eigenschaften der einzelnen Pigmente. Und, in vielen Fällen kommt man sogar ganz ohne Theorie aus. Durch Ostwalds Einfluss hält nun die Farbentheorie generell Einzug in die Akademien und Schulen und es gilt Stellung für eine bestimmte Theorie oder Ansicht zu beziehen. Da Ostwald seinen Farbenkreis nach vier Hauptfarben (Gelb, Rot, Blau, Grün) ausrichtet, steht jetzt die neue sogenannte „Vierfarbenlehre“ Ostwalds gegen die althergebrachte und bewährte „Dreifarbenlehre“ der Maler [14; 15, S. 262ff].

Schon kurz nach Erscheinen von Ostwalds Werk bricht dieser Konflikt öffentlich auf dem Ersten Deutschen Farbentag auf, der im Rahmen einer Jahresversammlung des Deutschen Werkbundes am 9. September 1919 in Stuttgart stattfindet. Dort wirbt Ostwald als der erste Hauptredner für seine neue Farbenlehre, die vom zweiten Hauptredner Adolf Hölzel, der die Seite der Künstler vertritt, abgelehnt wird, da Kunst sich keinen mathematisch festgelegten Normen unterordnet. Unter Berufung auf Goethe plädiert Hölzel für eine ungezwungene, dem jeweiligen Zweck angepasste Farbentheorie, aber stets auf der Grundlage der drei Grundfarben der Maler Gelb, Rot und Blau mit ihren Sekundär- und Tertiärfarben [10, S. 20ff].

Hölzel spricht für die große Mehrheit der Künstler und auch in den Schulen erfährt die Ostwaldsche Farbenlehre aufgrund ihrer starren Systematik und wegen des ungewohnten Farbmaterials überwiegend Ablehnung. Als ein typisches Beispiel sei hier die Kunstlehrerin Erna Dreiack angeführt, die hinsichtlich des Umgangs mit dem Schulmalkasten bemerkt: „Auch achte ich stets darauf, daß die Kinder keinen Ostwald-Farbkasten in Gebrauch nehmen, da in diesem die Farben harmonisch und schon geschmacklich abgestimmt, für die Kinder keine Aufgabe mehr bedeuten, weil nichts Persönliches wie bei den anderen Farben durch Mischen und Abstimmen hineinkommt. Auch ist der Ostwald-Farbe ein giftiger und kalter Ton eigen, der eine feinfühlige farbige Gestaltung verhindert. Für die chemische Industrie ist Ostwalds Farbenlehre sicher ausgezeichnet, aber niemals für das Malen, sobald es auf künstlerischen Wert Anspruch erheben will.“ [16, S. 20f]

Heftiger und scharf formulierter Widerstand kommt aus dem süddeutschen Raum, wo der Münchner Kunstmaler Paul Kaemmerer der Kritik an Ostwald eine politische Dimension hinzufügt: „Für die Deutschen gibt es nur eine Farbenlehre. Das ist die Farbenlehre Goethes […] Daß ein Jahrhundert nach Erscheinen von Goethes Farbenlehre ein mechanisch-atomistisches Färbestoffregister als eine neue Farbenlehre diktiert werden konnte, ist ein äußeres Anzeichen für den geistigen und sittlichen Verfall, den das deutsche Volk heute durchmacht.“ [17, p. 99]. Kaemmerer, der übrigens ein Exemplar dieser Schrift Adolf Hitler bereits 1924, mit deutschem Heilsgruß gewidmet, zu dessen Geburtstag überreicht (Abb. 7), polemisiert nicht nur als Künstler gegen die neue Farbenlehre, sondern funktionalisiert gezielt Goethe und stilisiert ihn mit nationalistischen Absichten, die später noch bedeutsam werden sollen, zu einem deutschen Heroen und vermeintlichen Ostwald-Gegner, der für die Dreifarbenlehre einsteht [17, S. 33ff].

Als van Biemas Buch 1930 erscheint, rennt sie damit offene Türen ein, denn jetzt bekommt die seit mehr als einem Jahrhundert verbreitete und zum Allgemeingut gewordene Gelb-Rot-Blau-Theorie der Maler nicht nur ein mit Farbenkreis, Farbendreieck und Farbenharmonielehre verfeinertes theoretisches Gerüst, sondern vor allem einen Namen, der dem von Ostwald Paroli bieten kann: Goethe! Auch wenn Goethe gar nicht für diese Theorie steht und z.B. Philipp Otto Runge (1777 – 1810) mit seiner aus dem Farbendreieck entwickelten Farbenkugel [2, S. 78ff] viel geeigneter gewesen wäre, sieht man über diesen Mangel in Anbetracht der Umstände offensichtlich hinweg, zumal nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 der deutsche Heroe Goethe hoch im Kurs steht.

Abb. 7: Titelblatt von Kaemmerers Bericht zum 2. Deutschen Farbentag mit folgender Widmung: „Adolph Hitler mit deutschem Heilsgruß zum 20. April 1924 übermittelt von Paul Kaemmerer“, aus [17, Sammlung Schwarz]

Jedenfalls wird van Biemas Arbeit nicht nur gelesen, sondern findet auch sehr schnell ihren Niederschlag im Kunstunterricht und speziell die an das Farbendreieck angebundene Misch- und Harmonielehre werden so zum didaktischen Allgemeingut.

Ein früher Beleg dafür sind zwei Schülerarbeiten von 1935 und 1940 (Abb. 8). Während im ersten Blatt, das mit ‚Goethes Farbenlehre‘ betitelt ist, nur ein schwacher Bezug zu van Biema über den Urfarbenkontrast Gelb-Blau in der linken unteren Ecke zu erkennen ist (vgl. Abb. 5, Taf. I), ist dieser im zweiten Blatt, das neben Schopenhauers Äquivalenten auch das schwarz unterlegte Dreieck mit den drei Grundfarben sowie den als Stern dargestellten Farbkreis und das neunteilige Farbendreieck enthält, mehr als offensichtlich (vgl. Abb. 5, Taf. IV). Hier ist das Farbendreieck wohl in erster Linie zur Darstellung von Mischbeziehungen genutzt worden.

Abb. 8: Zwei Arbeiten desselben Schülers aus dem Kunstunterricht. Die linke von 1935 zeigt „Goethes Farbenlehre“ basierend auf den Grundfarben Gelb, Rot, Blau und den Urkontrast Gelb-Blau; die rechte von 1940 zeigt Abbildungen einschließlich des neunteiligen Farbendreiecks, die auf van Biema zurückgehen, aus [Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung des Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung / Archiv: Sammlung von Schülerzeichnungen des Bundes Deutscher Kunsterzieher e. V., BDK SZ 1404 u. BDK SZ 1405]

Auch nach dem Krieg bildet das „Goethesche Farbendreieck“ häufig noch das zentrale Element in der schulischen Farbenlehre, was aus der Mappe eines Schülers hervorgeht, die 1949 wahrscheinlich an einer Kunstgewerbeschule entstanden ist (Abb. 9). Hier folgt auch zunächst der Farbenkreis auf den Urkontrast und dann das Farbendreieck, dem genau wie bei van Biema (Abb. 5, Taf. III) diversen isolierten Bereichen bestimmte Farbwirkungen zugeordnet sind.

Ein spätes Beispiel für die Verwendung des „Goetheschen Farbdreiecks“ findet sich noch 1974 in einer Zulassungsarbeit für das Lehramt an Volksschulen, wo wiederum Urfarbenkontrast, Grundfarbendreieck, Farbenkreis und neunteiliges Farbendreieck van Biemascher Prägung (Abb. 10) auftauchen [18]. Allerdings stehen diese Elemente recht isoliert und sind wohl nur der Vollständigkeit halber genannt. Zentral in dieser Zulassungsarbeit ist hier bereits die Farbenlehre des Künstlers und frühen Bauhaus-Lehrers Johannes Itten (1892 – 1967) mit dem aus dem Grundfarbendreieck abgeleiteten Farbenkreis und den sieben Farbkontrasten, auf die die einzelnen in der Arbeit enthaltenen Stundenentwürfe auch zugeschnitten sind.

Mit der Verbreitung von Ittens Farbenlehre [19] seit den 1960er Jahren findet man das „Goethesche Farbendreieck“ im Kunstunterricht immer seltener, zumal mit Ittens Farbenkreis der Aspekt der Mischung, vor allem jedoch mit seiner Farbkontrastlehre, die Aspekte Farbkominatorik und Farbwirkungen differenzierter und zeitgemäßer abgedeckt wurden. Nichtsdestotrotz ist das Farbendreieck in vielen Farbtheorien und auch in didaktisch ausgerichteten Farbenlehren wie z.B. der von Itten [19, S. 110] oder der von Josef Albers (1888 – 1988) [20] und anderen mit verschiedenen Funktionen zumindest noch als Randerscheinung enthalten [1, S. 26].

Zum festen Bestandteil gehört das neunteilige Farbendreieck als Mischfarbenschema bis heute im Bereich der beruflichen Ausbildung zum Maler und Lackierer, wo es auch nach wie vor als „Goethesches Farbendreieck“ tituliert wird [21, S. 55; 22, S. 75].

Abb. 9: Vier von insgesamt zwölf Tafeln aus der Mappe einer Person Namens Helmsmüller von 1949. Neben dem Urkontrast (oben links) sind in Übereinstimmung mit van Biema der Farbenkreis, bzw.-stern (oben rechts) sowie das Farbendreieck (unten links) und eine von sechs Tafeln mit isolierten Bereichen aus dem Dreieck mit zugeordneten Farbwirkungen – hier melancholisch - (unten rechts) abgebildet, aus [Sammlung Schwarz]

Abb. 10: Zwei Tafeln einer Lehramtsstudentin von 1974, die neben Ittens zentraler Farbenlehre auch noch einige Elemente von van Biemas Farbenlehre enthalten, darunter auch das neunteilige Farbendreieck, aus [18]

Die vergessene Farbdidaktikerin

Adolf Hölzel war sowohl Lehrer von Johannes Itten als auch von Carry van Biema und wie bei Itten tauchen auch bei van Biema fast ausschließlich Elemente in der Farbenlehre auf, die vom gemeinsamen Lehrer Hölzel übernommen und nur in Teilen leicht modifiziert sind. Ittens Farbenlehre ist heute weltweit bekannt, während van Biemas Name, trotz des offenkundig großen Einflusses ihres Werkes vor allem in den 1930er und 1940er Jahren völlig in Vergessenheit geraten ist, und das obwohl das Mischfarbendreieck als ein zentrales Element ihres Buches heute immer noch kursiert.

Bei Itten liegt der Fall so, dass er seine Farbenlehre in der Nachkriegszeit publiziert und schon frühzeitig bei den Kunsterziehern mit Publikationen und auf Kongressen erfolgreich dafür wirbt, wozu ihm auch seine Bauhauskarriere förderlich ist. Bis heute hat Ittens Werk - in dreizehn Sprachen übersetzt - eine Gesamtauflage von ca. 500.000 Exemplaren erreicht. Für die Kernelemente seines Werkes wie den Farbenkreis und die Kontrastlehre (auch für das Farbendreieck) gibt er keine Quellen an, so dass die zentralen Aspekte seines Werkes, obwohl sie eigentlich von Hölzel und anderen stammen, bis heute Ittens Namen tragen.

Anders verhält es sich bei Carry van Biema (Abb. 11), die die entsprechenden Elemente und Modelle entweder Hölzel oder Goethe zuweist, auch wenn dies im Fall des Farbendreiecks fälschlicherweise geschieht. Obwohl der Inhalt des 1930 erschienenen Buches von van Biema, einer Jüdin, innerhalb kurzer Zeit weite Verbreitung findet (was u.a. auch am Einfluss des Farbendreiecks bis heute abzulesen ist), wird ihr Werk 1933 mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten verboten, aus den öffentlichen Bibliotheken entfernt, die Restauflage vernichtet [13, S. 18]. Carry van Biema emigriert 1938 nach Holland, von wo sie 1942 in den Osten deportiert wird und in der Gaskammer von Auschwitz stirbt [23]. Es ist tragisch, dass die Person, die „Goethes Farbendreieck“ im Kunstunterricht der 1930er und 1940er Jahre zum Durchbruch verhilft, denen in die Hände spielt, durch die sie dann umkommt! Und während das Farbendreieck heute immer noch existiert und mit Goethe in Verbindung gebracht wird, ist Carry van Biemas Name so gut wie vergessen. Was von van Biemas Werk bleibt, ist das Farbendreieck und das, was Josef Albers 1973 darüber schreibt: „Wenn wir Systeme geordneter Farbbeziehungen erläutern, beginnen wir in der Regel mit dem selten publizierten, neunteiligen Farbendreieck, das Goethe zugeschrieben wird; ob zu recht, steht dahin.“ [20, S. 66]

Abb. 11: Carry van Biema (1881 – 1942), aus [13, S. 22]


Literatur

  • [1] Anděl, Anton: Grundzüge der ornamentalen Formenlehre. Zweiter Band: Das Polychrome Flachornament. Wien: Waldheim um 1880
  • [2] Kuehni, R. G. & Schwarz, A.: Color Ordered. A Survey of Color Order Systems from Antiquity to the Present. New York: Oxford University Press 2008
  • [3] Meyer, J.: Das große Conversations-Lexicon für die gebildeten Stände. Bd. 9. Hildburghausen: Verlag des bibliographischen Instituts 1847
  • [4] Liebig, J., Poggendorff, J. C., Wöhler, Fr.: Handwörterbuch der reinen und angewandten Chemie. Bd. 3. Braunschweig: Friedrich Vieweg & Sohn 1848
  • [5] Pierer, H. A.: Universal-Lexikon der Vergangenheit und Gegenwart oder Neuestes enzyclo-pädisches Wörterbuch der Wissenschaften, Künste und Gewerbe. Bd 6, 4. Aufl., Altenburg: H. A. Pierer 1858
  • [6] Schreiber, Guido: Die Farbenlehre. Für Architekten, Maler, Techniker und Bauhandwerker, insbesondere für Bau- und polytechnische, höhere Gewerb- und Realschulen. Leipzig: Otto Spamer 1868
  • [7] Field, George: Chromatography; or a Treatise on Colours and Pigments, and of their Powers in Painting. London: Charles Tilt 1835
  • [8] Biema, Carry van: Farben und Formen als lebendige Kräfte. Jena: Diederichs 1930
  • [9] Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Tübingen: Cotta 1810
  • [10] Hölzel, Adolf: Einiges über die Farbe in ihrer bildharmonischen Bedeutung und Ausnützung. In: Erster Deutscher Farbentag. Berlin: Selbstverlag Deutscher Werkbund 1919
  • [11] Hess, Walter: Zu Hölzels Lehre. In: Der Pelikan 65, 1963, S. 18 - 34
  • [12] Deicher, Luise: Faksimile aus der 3. Vorlesung Hölzels 1910. In: Adolf Hölzels Schülerinnen. Künstlerinnen setzen eigene Maßstäbe. Hrsg. v. Helmut Herbst, Stuttgart: Edition Hugo Matt-haes 1991, S. 8 - 36
  • [13] Müller, Ueli: Carry van Biema und ihr Buch Farben und Formen als lebendige Kräfte. Eine Ein-führung. In: Biema, Carry van: Farben und Formen als lebendige Kräfte. Reprint: Ravensbur-ger 1997, S. 1 - 45
  • [14] Schwarz, Andreas: Schulmalkästen, Farbtheorie und Farbwahrnehmung. www.dr-andreas-schwarz.de 2010
  • [15] Pohlmann, Albrecht: Von der Kunst zur Wissenschaft und zurück. Farbenlehre und Ästhetik bei Wilhelm Ostwald (1853 – 1932). Halle: Dissertation 2010
  • [16] Dreiack, Erna: Ein Weg zum zeitgemäßen Zeichenunterricht. Goslar am Harz: F. A. Lattmann 1927
  • [17] Kaemmerer, Paul: Die Farbentagung in München 1921 und die neue Farbenlehre Ostwalds. Berichte über die Tagung. Kritik von Paul Kaemmerer. München: Bund Deutscher Dekorati-onsmaler 1921
  • [18] Ruess, Radegundis: Die konstruktive Farbenlehre und der Entwurf einer Aufgabenpassage über Farbkontraste für den Kunstunterricht der Hauptschule. (Zulassungsarbeit zur 1. Prüfung für das Lehramt an Volksschulen). Weingarten: Pädagogische Hochschule 1974
  • [19] Itten, Johannes: Kunst der Farbe. Ravensburg: Otto Maier 1961
  • [20] Albers, Josef: Interaction of Color. Die Wechselwirkungen der Farbe. Starnberg: Josef Keller 1973
  • [21] Richter, Konrad: Das Malerfachbuch. 5. Aufl., Stuttgart: Klett 1993
  • [22] Heid, Helmuth & Reith, Jürgen: Malerfachkunde. 5. Aufl., Wiesbaden: Vieweg und Teubner 2010
  • [23] http://www.jong-holland.nl/1-2003/summary1-2003.htm