Farbdidaktik

Malbücher
und Farbe

Das 18. Jahrhundert

Vorläufer von Malbüchern tauchen in England und den Niederlanden bereits in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auf. Sie entstanden nicht zum Spaß oder als bloße Beschäftigung für die Kleinen, sondern hatten schon von Anfang an einen erzieherischen Anspruch. Ein sehr frühes ist das Fables originales von Jean Kidgell, das zuerst 1763 in England und vier Jahre später in den Niederlanden erschien [2]. Es handelt sich hierbei um eine zweisprachige Ausgabe von Fabeln (englisch französisch, bzw. niederländisch französisch), die begleitet wurde von schwarzweißen Illustrationen, die farbig koloriert werden konnten (Abb. 1). Mit diesem Werk wurden dreierlei für das damalige Bürgertum typische Bildungsziele verfolgt: erstens sollten durch die Fabeln moralische Werte vermittelt werden, zweitens sollte die französische Sprache und drittens die Technik des Aquarellierens erlernt werden, die damals zu einer standesgemäßen Ausbildung dazugehörte.

Die Vorlagen enthielten allerdings weder farbige Vorbilder noch technische Anleitungen und mussten aus dem Gedächtnis frei koloriert werden, wobei alles andere als eine naturalistische Farbengebung zur damaligen Zeit und zu diesem Zweck undenkbar war.

Abb. 1: Eine Seite aus Kidgells Fabeln von 1763. Das Bild konnte koloriert werden.

Das 19. Jahrhundert

Abb. 2: Illustrationen für Instruktionen zum Zeichnen, 1811

Abb. 3: Farbentabelle mit Mischungen zum Ausmalen, 1811

Abb. 4-1 und 4-2: Farbige Vorlage und dazugehörige Umrisszeichnung zum Ausmalen, 1811

Ein Übergangswerk zum reinen Malbuch bildet das 1811 erschienene Bändchen eines anonymen Autors mit dem Titel Der kleine Zeichner und Mahler, oder praktische Anweisung zum Zeichnen und Illuminiren so wie auch zur Selbstbereitung und Mischung der Farben, nebst einer Farbentabelle [3]. Es enthält einen aus damaliger Sicht auf Kinderniveau reduzierten klassizistisch akademischen Zeichenlehrgang mit zunächst technischen Angaben zur Handhabung des Zeichengeräts bis hin zur Anleitung zur Darstellung von Köpfen und menschlichen Figuren in den richtigen Proportionen (Abb. 2).

Der zweite Teil des Werkes ist dem Ausmalen von in Umrissen angelegten Motiven gewidmet, wofür nur sogenannte Saftfarben (Aquarellfarben) geeignet sind. Es wird genau beschrieben, wie diese Saftfarben herzustellen sind und welche Pigmente sich dazu eignen. Die Theorie der drei Grundfarben Gelb, Rot und Blau wird zwar auch erwähnt, doch für die Praxis ist das Verhalten der einzelnen Pigmente, von denen mehr als zwanzig aufgelistet werden, entscheidender. So versieht der Verfasser das Bändchen mit einer Farbtafel, die insgesamt 72 gemischte Farbaufstriche enthält (Abb. 3), deren Zusammensetzung mit Pigmentangaben für jeden Aufstrich aufgelistet ist. Die 72 Mischungen sind nicht etwa syste-matisch aus drei Grundfarben generiert, sondern bilden unter Rückgriff auf das gesamte aufgelistete Pigmentsortiment Farben ab, die für ganz bestimmte bildnerische Zwecke benötigt werden. So beinhalten beispielsweise die ersten 13 Muster der Farbentabelle nur sogenannte Fleischfarben (Hautfarben),: „wovon man wählen kann, je nachdem man Junge oder Alte, Bauern oder Prinzessinnen illuminiren will." [3, S. 16]

Zusätzlich zu Umrisszeichnungen, die eher als Vorbild zum Kopieren dienen, enthält das Bänchen auch Umrisszeichnungen zum Ausmalen, denen eine farbige Vorlage vorangestellt ist (Abb. 4).

Begleitend zu dem Werk, das im Untertitel angepriesen wird als „Ein nützliches und angenehmes Weihnachtsgeschenk für gute Kinder", konnten vom Verlag auch gleich zwei Tuschkastenvarianten erstanden werden, die einem der Mühe des Farbenbereitens enthoben: der kleine Kasten zu zwölf Groschen enthielt 12 „einfache Hauptfarben" (mit Bindemittel versehene angeriebene Pigmente), während der große Kasten für einen Taler zusätzlich noch 12 schon „gemischte Farben" enthielt.

Abb. 5: Eine von mehreren Vorlagen auf einer Seite aus Ziehnerts Malbuch

Abb. 6: Pendant zum kolorieren, das nur zum Teil ausgemalt ist

Zu diesen ersten Vorläufern und Mischtypen kommen dann im Laufe der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert die „reinen" Malbücher mit farbigen Vorlagen und dazugehörigen Umrisszeichnungen zum ausmalen hinzu, die hier von besonderem Interesse sind. Eins der ersten deutschen Exemplare stammt von Widar Ziehnert (1814 1839), dem Sohn eines sächsischen Theologen und Kinderbuchautoren. Sein undatiertes Neues BilderAllerlei für gute Kinder enthält neben Beschreibungen der dargestellten Berufs und Alltagsszenen vor allem ausführliche technische Anleitungen darüber, wie die Produktionsvorlagen farbig auszuführen sind [4]. Auch hier sollten neben sach und landeskundlichen Aspekten vor allem die technischen Fertigkeiten des Aquarellierens geschult werden.

Um dies zu bewerkstelligen beschreibt Ziehnert zunächst in einem allgemeinen Teil, welches Wasser zum Farben anrühren am besten taugt (Fluß oder Rohrwasser statt Brunnenwasser), wie ein guter Pinsel beschaffen ist und welche Farbmaterialien (Aquarell, Deck und Ölfarben) es gibt, von denen für die Zwecke des Kolorierens die Aquarellfarben empfohlen werden. Ziehnert gibt genau an, wie diese Materialien zu handhaben und welche Aquarellfarben für das Mischen anzuschaffen sind. Als notwendig erachtet er: „zinnoberroth, karminroth, rein dunkelblau, schwarz, weiß und ein reines Citronengelb, wozu Chromgelb besser ist als Gummiguttgelb, indem letzteres, wenn man es stark aufträgt, zugleich etwas Rothbraunes hat, und, vorzüglich in der Mischung mit Zinnober zu Orangegelb, der Reinheit der Farbe schadet." [4, S. 2] Ziehnerts Malbuch enthält insgesamt 14 Tafeln, auf denen jeweils mehrere farbige Vorlagen angeordnet sind (Abb. 5). Auf 14 weiteren Tafeln befinden sich die entsprechenden Pendants zum Ausmalen. Für jede einzelne Vorlage gibt es eine detaillierte Anweisung, wie diese zu kolorieren ist, auch wenn der Besitzer des vorliegenden Exemplars dieser Anweisung offensichtlich nicht in Ziehnerts Sinne gefolgt ist (Abb. 6).

Mit der zunehmenden Verbreitung der farbigen Lithographie hatte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor allem in Deutschland, England und Frankreich bereits eine umfangreiche Malbuchproduktion für den europäischen Markt etabliert. Diese Malbücher zeichnen sich dadurch aus, dass sie farbige Vorlagen mit schwarzweißen Pendants zum kolorieren beinhalten und weitgehend ohne Text auskommen. Dieser ist oft auf eine kurze, oft mehrsprachige Anleitung zum Kolorieren reduziert. Damit verlagert sich der Schwerpunkt weg vom Inhalt, der zunehmend beliebiger wird, hin zum Umgang mit Farbe und Farbmaterial wie in den folgenden Beispielen.

Abb. 7: Titelblatt des Colorir-Uebungsheftes um 1870

Abb. 8: Sorgfältig ausgemalte Seite mit großer Ähnlichkeit zur Vorlage

Ein frühes Malbuch aus der Mitte des 19. Jahrhunderts produziert vom J.F. Schreiber Verlag aus Esslingen, der bis heute Malbücher herstellt, ist ein Exemplar der so genannten Colorir-Uebungshefte (Abb. 7)[5]. Dieses enthält neben vier farbigen Vorlagen und schwarz-weißen Pendants zum Ausmalen mit Motiven bürgerlicher Szenen (Abb. 8) nur noch eine vergleichsweise knapp gehaltene Anleitung zum Coloriren auf der Umschlagrückseite.

Dieser lässt sich entnehmen, dass sich mit 15 - 16 Aquarellfarben, die auch aufgelistet werden, „alle Farben und Töne" herstellen lassen. Die Einteilung der Pigmente erfolgt in verschiedene Gruppen. So gibt es blaue, dunkelblaue, braune, rote, gelbe und grüne Farben. Es folgen einige Mischbeispiele wie: „Miloriblau und Gummigutt-gelb gibt grün. Zinnoberroth und Gummigutt-gelb mit etwas Indigo gibt braun. Carminroth und miloriblau gibt violett (veilchenblau.) Indigo, Zinnober und etwas Terra de Siena geben schwarz u.s.w.". Interessant ist auch der Hinweis, dass man die Farben in Schachteln mit darin enthaltenen Täfelchen und keine angeriebenen Farben in Muscheln kaufen soll. Dies ist ein deutliches Indiz dafür, dass Malkästen zu dieser Zeit noch keineswegs üblich waren.

Es folgen methodische Hinweise zum Anfeuchten und Auftragen der Farben, bevor der Text mit der didaktischen Intention des Malbuchs mit folgendem Wortlaut schließt: „Durch genaues Nachahmen der Musterbilder der Colorir-Uebungen wird das Kind an richtiges Auffassen eines vor ihm liegenden Gegenstandes gewöhnt und sein Auge geübt. Ein getreues Copiren guter Originale ist der beste Lehrmeister der Illuminations-Kunst. Der Zeichenunterricht fördert den Sinn und das Verständniß eines Bildes und geht Hand in Hand mit der Freude an den Fortschritten des Malens." Die Zielsetzungen, die sich hier in diesem Malbuch formuliert finden, stimmen gänzlich überein mit den Zielen und Methoden des damaligen Zeichenunterrichts an den Schulen und bilden zu diesen insofern eine wichtige Ergänzung, als in den Schulen der Unterricht im wesentlichen auf das (Ab)-Zeichnen beschränkt blieb und kaum mit Farbe gearbeitet wurde.

Abb. 9: Titel des früheren Malbuchs von Couleru um 1860

Abb. 10: Palette zum kolorieren und zugrunde liegende Pigmente

Abb. 11a: Stilleben als farbige Vorlage

Abb. 11b: Vorlage mit Grauschattierungen zum kolorieren

Ähnlich konzipiert sind die von Couleru in Paris in den 1860er und 1870er Jahren produzierten Malbücher mit den Titeln Nouveau Cours élémentaire de Coloris et d'Aquarelle suivi de considérations sur la peinture orientale [5] (erschien auch auf Spanisch) und Nouveau Cours de Coloris et d'Aquarelle [6], die sehr aufwändig und gediegen in großem Format, goldgeprägtem Einband, stabilem Papier und hoher Abbildungsqualität aufgemacht sind (Abb. 9). Das Ausmalen der Vorlagen soll nach der Palette des Herrn Couleru erfolgen, deren Farben sich aus einer Auswahl von 12 Pigmenten nach genauen Mischangaben erzeugen lassen (Abb. 10). Jede Ausgabe enthält zehn farbige Vorlagen mit unterschiedlichen Motiven, die von der Landschaft über Porträt bis zum Stillleben (Abb. 11) reichen und somit die klassischen Gattungen der Malerei abdecken. Der ausführliche Einführungstext, der nur im ersten Malbuch enthalten ist, handelt ohne im speziellen auf die Vorlagen des Malbuchs einzugehen von den Pigmentfarben, vom Mischen und Anrühren auf der Palette und wie Personen, Landschaften, Tiere, Früchte und Pflanzen mittels Aquarelltechnik zu kolorieren sind. Didaktische Hinweise sind beschränkt auf die Aussage, dass das Studium der Natur die beste Lehrmeisterin ist und dass man durch die Übungen ein Gefühl für die Farben bekommt.

Abb. 12: Titelblatt des Kolorierheftes für fleissige Knaben um 1860/70

Abb. 13a. Farbige Vorlage (Österreichische Infanterie)

Abb. 13b: Ausgemaltes Pendant mit Farbabweichungen

Eher untypisch für das 19.Jahrhundert ist das als Vorlagen zum kolorieren für fleissige Knaben betitelte Malbuch (Abb. 12) mit insgesamt sechs Militärmotiven aus den 1860/70er Jahren insofern, als dort auf die Auflistung konkreter Pigmente und Mischbeispiele in der zweisprachigen Anleitung zum Kolorieren / Directions pour colorier verzichtet wird. An die Stelle konkreter Pigmentangaben tritt eine abstrakte Far-bentheorie, die sich auf drei Grundfarben Gelb, Rot und Blau gründet: „Es gibt 3 Grundfarben: gelb, rot und blau. Durch Mischung derselben zu gleichen Teilen erhält man: aus gelb und rot = orange; aus rot und blau = violet und aus blau und gelb = grün. Diese 3 Farben nennt man sekundäre oder Mischfarben. Nimmt man beim Mischen mehr gelb als rot, so erhält man gelborange, im umgekehrten Falle dagegen rotorange. Auf diese Weise läßt sich auch rotviolet und blauviolet oder gelbgrün und blau-grün herstellen. Es erhellt daraus, daß man durch Mischen der Grundfarben mit den sekundären Farben die mannigfaltigsten Farbentöne herstellen kann, so z.B. aus rot und violet = rotbraun, aus violet und grün = olivenbraun, aus grün und orange = gelbbraun u.s.w. Durch gleichmäßige Mischung der Grundfarben erhält man Schwarz." Die Theorie lässt offen, welche Pigmente zu wählen sind und führt auch beim Ausmalen zu Schwierigkeiten, da nur wenige Farben und diese auch nur grob über die Theorie festgelegt sind. So wird beispielsweise einer von zwei unterschiedlichen Blautönen einer Soldatenuniform als Violett gedeutet, da es keine Angaben dazu gibt, wie zwei Blaus mit unterschiedlichem Farbton und Helligkeit in der Mischung zu erreichen sind (Abb. 13).

Abb. 14: Godrons Mal- und Zeichenbuch für die Jugend von 1899

Abb. 15: Eins von vier farbigen Motiven auf einer Seite mit Farbangaben

Zum Ausmalen der Vorlagen in seinem Mal- und Zeichenbuch für die Jugend von 1899 [8] (Abb. 14) hatte Richard Godron extra einen Farbkasten zusammengestellt, der neben Bleistift, Pinsel, Radiergummi und Wasserschälchen die sieben Aquarellfarben Hellgelber Ocker, Chromgelb, Zinnobergrün, Hellblau (Kobaltblau), Preußischblau, gebrannte Sienna, Neutraltinte oder Schwarz enthielt. Dieser für die damalige Zeit typische Farbkasten konnte von dem heute nicht mehr existierenden Hersteller von Mal- und Zeichenbedarf, der Firma Redeker & Hennis aus Nürnberg für 60 Pfennige bezogen werden.

Godrons Malbuch enthält auf neun Seiten verteilt insgesamt 28 Pflanzenmotive als farbige Vorlagen. Die Pendants zum Ausmalen sind als gepunktete Linien vorgegeben, die vor dem Ausmalen erst mit dem Bleistift nachgezogen werden müssen (Abb. 15). Ähnlich wie bei Ziehnert ist für jedes Pflanzendetail genau vorgegeben, welche Pigmente zum Nachmischen der Farbvorlage zu benutzen sind. Hier spielt die Farbentheorie keine Rolle, sondern jede nachzustellende Farbe wird als Einzelfall behandelt.

Die didaktische Intention, die Godron mit seinem Malbuch verfolgt, ist seinem Vorwort zu entnehmen: „Die in diesem Buche dargestellten Motive sind dem kindlichen Gemüte angepaßt und findet die Jugend schon längst alte Bekannte darin, wie Wiesen-, Feld-, Garten- und Zierblumen, dann Beeren und Früchte. Mit einfachen Blättern (Klee, Epheu) anfangend, entwickeln sich Blumen und Früchte so der Reihenfolge nach, daß besonders deren Form und Farbe berücksichtigt wurde. Daß aber diese Motive von den Knaben und Mädchen in diesem Alter nicht mit freier Hand auf das Papier gezeichnet werden können, versteht sich von selbst. Es sind daher dieselben Motive auf einem zweiten Zeichenblatte in punktierten Linien angedeutet, welche dann von den kleinen Künstlern mit dem Bleistift ausgezeichnet werden. Durch dieses Verfahren wird schon beim Beginn des Zeichnens das häufige Durchpausen abge-wöhnt. Die Freude wird durch die Farbengebung noch bedeutend vermehrt. Jedoch kann hier nur von der einfachen Behandlung mit wenig Farbentönen die Rede sein. Die Motive zeigen daher ganz bestimmte begrenzte Farbenflächen und zwar mit einem Farbenton beginnend, stufenweise zu mehreren sich steigernd. Auf diese Weise, durch die Einfachheit der Form und Farbengebung dieser Motive, wird die Jugend mit großer Lust und Freude in das Zeichnen und Malen eingeführt und angeregt, die Hand und das Auge geübt, der Formen- und Schönheitssinn für die wunderbare Natur Gottes geweckt. Dies ist mein Zweck." [8, S. 1] Mit der Abkehr vom reinen Durchpausen, mit der als altersgemäß erachteten Motivwahl aus der Natur, mit der Möglichkeit in Wasserfarben zu malen, den Farbensinn zu schulen und vor allem den Genuss an der gestalterischen Tätigkeit zu erwecken erweist sich Godron als ein früher Vertreter der Kunsterzieherbewegung.

1900 - 1945

Fokussiert auf den Aspekt Farbe ist für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts eine interessante Tendenz festzustellen. Während es immer weniger Malbücher gibt, die in ihren Anleitungen von konkreten einzelnen Pigmenten ausgehen, nimmt die Zahl der Malbücher zu, in der die Farbentheorie zur Anwendung kommt, die sich auf die Grundfarben Gelb, Rot, Blau gründet. Wie zuvor beim Fokus auf Einzelpigmente ist auch dieses Phänomen der Orientierung an Grundfarben internationaler Natur wie an den folgenden Beispielen ablesbar:

Abb. 16a: Malbuch „Geschichte der Farben" (Vorderseite)

Abb. 16b: Malbuch „Geschichte der Farben" (Rückseite)

Abb. 17a: Farbentheorie: Rot und Blau ergibt Violett

Abb. 17b: Nach Vorgabe mit Violett ausgemalte Rebe

Der deutsche Verlag Molling & Comp., der in Hannover ansässig war, brachte in den 1920er Jahren ein Malbuch heraus (Verlags-Nr. 582), in dem die Farbentheorie sogar das eigentliche Thema darstellt [9]. In diesem als Geschichte der Farben betitelten Malbuch (Abb. 16) werden die so genannten Grundfarben Gelb, Rot, Blau sowie die aus ihrer Mischung hervorgehenden so genannten Sekundärfarben Orange, Grün, Violett personifiziert. Nach einer kurzen technischen Einleitung werden die einzelnen Farben vorgestellt, die Mischung wird erläutert, es gibt Angaben darüber, welches Motiv jeweils mit den ermischten Farben koloriert werden soll (Abb. 17) und das alles abgefasst in Gedichtform.

Das Problem, welche Pigmentfarbe jeweils für Gelb, Rot und Blau zu wählen war, tauchte hier nicht auf, denn das Malbuch war neben einem Pinsel auch mit drei Aquarellfarben in rechteckiger Stückform aus-gestattet (Abb. 16), so dass die Entscheidung einer geeigneten Pigmentwahl abgenommen wurde. Dieses Malset gewährleistete zwar ein sofortiges Arbeiten, förderte aber so auch die unreflektierte Über-nahme einer keineswegs unproblematischen Farbentheorie.

Abb. 18: Die Cover der vier Bände von Schneebelis Malbuchausgabe um 1920

Abb. 19: Erzeugung der „Sekundärfarben" aus den „Grundfarben" als Farbvorlage (Abb. 1), als Vorlage zum Ausmalen (Abb. 2) und ausgemalt (Abb. 3)

Der Schweizer Zeichenlehrer William Schneebeli (1874 - 1947) war Illustrator und Verfasser zahlreicher Kinderbücher und gab auch Zeichen- und Malbücher heraus. Von ihm stammt das vierteilige Malbuch Wie lerne ich malen? (Abb. 18), das ebenfalls in den 1920er Jahren erschien und die Farbentheorie zur Grundlage macht [10]. Aquarellfarben werden hier nicht mitgeliefert, aber es wird im ersten Teil des Malbuchs mit dem Untertitel Die Grundfarben und ihre Mischungen angegeben, welche Pigmente für die so genannten Grundfarben Gelb, Rot und Blau anzuschaffen sind: „Da man aber hier-unter sehr verschiedene Farbentöne verstehen kann, muss beachtet werden: Unter Gelb als Grundfarbe versteht man ein Gelb, wie es die Zitrone besitzt (chromgelb), unter Rot die Farbe der Kirsche (karmin) und unter Blau die Farbe des Enzians (preussisch-blau). [...] Um verschiedene Gegenstände malen zu können, braucht man wenigstens noch zwei Farben, nämlich Sienabraun und Zinnoberrot. Sienabraun ist die Kas-tanie (kastanienbraun). Zinnoberrot sind z.B. Hagebutte und der Ackermohn. - Zinnoberrot ist eine Deckfarbe, d.h. sie deckt andere Töne; zum Mischen eignet sie sich wegen ihrer Schwere nicht gut (sie setzt sich)." [10, Erster Teil] Schneebeli stellt die Farbentheorie nicht abstrakt dar, sondern bindet sie an bestimmte Pigmente an, wobei er auch zusätzliche Pigmente empfiehlt. Die Farbentheorie wird hier also nicht verabsolutiert, sondern durch den praktischen Umgang mit Farbmaterial zumindest ein Stück weit relativiert. Die ersten Übungen sind jedoch auf den Umgang mit nur drei Pigmenten beschränkt und führen in die „reine" Farbtheorie ein (Abb. 19).

Der zweite Teil Farben-Abstufungen handelt von den Nuancen der Farbtöne, also z.B. Gelborange oder Rotviolett sowie den Aufhellungen, die durch lasierenden Farbauftrag erreicht werden.

Im dritten Teil Farben-Zusammenstellungen wird zum Farbstern und zum Farbkreis fortgeschritten und es werden die sich darin gegenüber liegenden Ergänzungsfarben thematisiert, womit in den Bereich der Ästhetik übergeleitet wird.

Im vierten und letzten Teil Farben-Stimmungen werden die dunklen, bzw. gebrochenen Farben behandelt, die mit Schwarz erzeugt werden, für das die Verwendung von Paynesgrau, ein im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Schulmalkästen weit verbreitetes Pigment, empfohlen wird. Abschließend werden „gute Farbenzusammenstellungen" als Vorlagen zum Ausmalen präsentiert.

Schneebelis vierteiliges Malbuch beinhaltet quasi einen kompletten Grundlagen-Lehrgang zur Farben-theorie, wie sie damals im Bereich von Kunst und Kunstpädagogik üblich war. Für Schneebeli erfüllt sein Malbuch die Funktion der Geschmacksbildung und dient gleichzeitig als Einführung in die Malerei: „Ein interessantes und wichtiges Kapitel in der Erziehung unserer Jugend ist die Lehre von den Farben. Nicht jedermann ist ein guter Farbengeschmack angeboren. Wem aber dieses natürliche Empfinden fehlt, der bedarf der Belehrung, um vor Irrtümern bewahrt zu bleiben. In der vorliegenden Anleitung, die ganz verschieden ist von den bis jetzt bekannten Malbüchern, soll gezeigt werden, wie man sich selber spielend, in fröhlicher Selbstunterhaltung, die ersten Grundbegriffe des Malens beibringen kann." [10, Erster Teil]

Abb. 20: Streifen mit gelbem, rotem und blauem anlösbaren Farbmaterial zum Ausmalen der Vorlagen

Abb. 21: Paint Book der Whitman Comp. von 1936

Abb. 22: Eine Seite des Malbuchs, die allerdings nicht mit dem dafür vorgesehenen Farbmaterial, sondern mit Buntstiften ausgemalt ist

Die amerikanische Whitman Publishing Company wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts gegründet. Später ging sie in der Western Publishing Company auf, die bis heute der größte Hersteller von Kinder-malbüchern in den USA ist. In dem großformatigen 1936 erschienen ABC Paint Book with Paints [11] (Abb. 20) sind Gelb, Rot und Blau in Form von wasseranlösbaren Farbstreifen beigefügt, mit denen die Vorlagen ausgemalt werden sollten (Abb. 21).

Das Malbuch enthält für jeden Buchstaben des Alphabets eine Seite, bzw. eine Doppelseite mit den jeweiligen Buchstaben und Umrisszeichnungen von Motiven, die mit diesen Buchstaben beginnen. Auf diese Weise sollte das Alphabet erlernt werden. Die Funktion der Farbe bleibt in diesem Zusammenhang ziemlich unklar. Es wird zwar immer angegeben, mit welcher Farbe der jeweilige Gegenstand auszumalen sei, aber zwischen Gegenstandswert und Eigenwert der Farbe wird ohne erkennbares Konzept munter hin- und hergewechselt. So wird z.B. einmal aufgefordert: „Color the carrot orange" und an anderer Stelle: „Color the dog yellow" (Abb. 22).

Der Bezug zur Farbentheorie ist nur implizit durch die Vorgabe der drei Pigmentstreifen in den Farben Gelb, Rot und Blau gegeben. Außer einer technischen Anleitung, dass die Farbstreifen mit Wasser anzu-lösen sind, gibt es keine weiteren Vorgaben. Die Farbvorgaben zum Ausmalen der Vorlagen enthalten neben Gelb, Rot und Blau auch Farben wie Orange, Grün, Violett, Braun und sogar Schwarz, was ein intensives und experimentierendes Mischen erfordert. Ob und inwieweit hier die Farbtheorie schon vorausgesetzt wurde, ist nicht bekannt, aber im vorliegenden Exemplar hat man sich damit zumindest nicht auseinandergesetzt, denn zum Ausmalen wurde nicht auf die beigefügten drei Farbstreifen, sondern ausschließlich auf Buntstifte in größerer Anzahl zurückgegriffen, mit denen weder gemischt wurde, noch hat man sich streng an die Farbvorgaben des Malbuchs gehalten.

1945 - heute

In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bleibt das Gros der Malbücher mit Ausmalvorlagen bis heute bestehen. Daneben gibt es jedoch auch einige Malbücher mit neuen Tendenzen in der didaktischen Ausrichtung, die heute als so genannte Kreativ-Malbücher bezeichnet werden. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass eine Vorlage nicht mehr direkt abgeschaut und nachgeahmt werden soll, sondern dass freiere Gestaltungen ermöglicht werden. Dies kann auf den Bereich des Zeichnerischen und/oder auf den Bereich der Farbe zutreffen. Einige ausgewählte Beispiele, die einen neuen Umgang mit der Farbe in Malbüchern erfordern, werden hier vorgestellt:

Abb. 23: Titelbild von Hauensteins Malbuch

Abb. 24: Eine Doppelseite mit farbiger Vorlage und Umrisszeichnung zum Ausmalen

Richard Hauenstein geht 1950 mit seinem Malbuch Male mit Überlegung (Abb. 23) gezielt neue Wege [12]. Er empfindet das Kopieren von Vorlagen als rein mechanische und geistlose Tätigkeit und will mit seinem neuen Malbuchkonzept das Kind zu einer schöpferischen Tätigkeit anregen: „Wie war es doch bisher? Nach einer bunten Vorlage sollte es eine gleiche, nur schwarz umrandete Zeichnung farbig ausmalen. Es übte dabei eine rein mechanische Tätigkeit aus, bei der es weder zu denken brauchte, noch selbst gestalten konnte. Zu solch geistloser Tätigkeit sollten uns unsere Kinder zu schade sein. Anders bei diesem neuen Malbuch. Hier wird das Kind darauf hingewiesen, daß die Natur die beste Malerin ist. Ihr soll es die Farben, mit denen es malt, absehen; es muß lernen, mit offenen Augen durch die Welt zu gehen und für das Leben praktische Erkenntnisse zu sammlen." [12, S.1]

In Hauensteins Malbuch gibt es zwar auch noch Doppelseiten mit je einer Farbabbildung und einer schwarzen Umrisszeichnung zum Ausmalen, aber mit unterschiedlichen Motiven und Funktionen (Abb. 24). Die Farbigkeit der Umrisszeichnung kann und soll jetzt nicht mehr wie sonst üblich von der Farbvor-lage abgeschaut und nachgeahmt werden, sondern soll draußen in der natürlichen Umgebung beobach-tet und vom Kind studiert werden. Anschließend sollen die dort empfangenen Farbeindrücke beim Ausmalen der vorgegebenen Umrisszeichnung verwertet werden. Die Farbvorlage hat nur noch beispielhaften Charakter und vermittelt lediglich einen Eindruck vom Grad des Naturalismus und der Art der techni-schen Ausführung, wie die eigene farbige Illustration aussehen könnte oder sollte.

Abb. 25: Cover von Errs Malbuch

Abb. 26: Doppelseite zur Farbe Violett, die von Kinderhand jedoch anders genutzt wurde

Das Malbuch 1000 Farben - und deine! von Hans Err (Abb. 25), das 1972 erschien [13]. Dieses enthält auf Doppelseiten jeweils eine kleine Galerie von Kinderbildern in einem bestimmten Farbbereich, der in Leerrahmen weitere Bilder des jeweiligen Farbbereichs hinzugefügt werden sollen, die völlig frei gestaltet werden können (Abb. 26). Hier wird das Kind durch die Vorlage lediglich angeregt, sich in einem bestimmten Farbbereich zu bewegen, den es frei erkunden kann. Es fügt den Beispielen der anderen Kinder sein eigenes frei gestaltetes Bild in einem Buch bei. Hier gibt es keine Vorlage mehr, die kopiert werden soll und auch keine Erwartung zur Art der Gestaltung. Hier wird ein anregender Rahmen geliefert, in welchem sich das Kind spielerisch, kreativ und theoriefrei einen eigenen Zugang zur Farbe verschafft, der das Potential einer ästhetischen Erfahrung birgt, indem der gezielte Umgang mit Malmaterial und die Wirkungen, die es entfaltet, durch die Eingrenzung auf jeweils bestimmte Farbbereiche neben dem Spaß und der Freude an der gestalterischen Tätigkeit auch zur Reflexion herausfordern.

Abb. 27: Deutsche Ausgabe von Gomis Malbuch

Abb. 28: Die Doppelseite mit grauem Untergrund fordert den Einsatz deckender Farbmaterialien heraus

1990 publizierte Taro Gomi in Japan ein 368 Seiten umfassendes Malbuch, das 2009 auch in Deutsch-land unter dem Titel Das große Malbuch. Zeichnen - Kritzeln - Kreativ erschien [14] (Abb. 27). Gomi liefert Kindern ab vier Jahren vielfältige Angebote zur inhaltlichen und bildnerischen Auseinandersetzung, von einfachen „Wackellinien" zu Fragen wie man einen durchsichtigen Menschen oder ein Geheimnis malt bis hin zum Entwurf des eigenen Briefpapiers.

Gomis Malbuch, das die Bezeichnung „Kreativmalbuch" zu Recht trägt und auch vielen anderen Kreativ-malbüchern als Anregung dient, ist nicht speziell auf den Umgang mit Farbe ausgerichtet. Es enthält jedoch viele Beispiele, die einen kreativen Umgang mit Farbe oder einen gezielten Umgang mit Farbma-terial erfordern. So gibt es z.B. Seiten mit Vorgaben zum gezielten Erzeugen von Stimmungen wenn Tiere einmal in bunten und einmal in zarten Farben ausgemalt werden sollen, oder wenn dieselbe Land-schaft einmal einen heiteren und auf der nächsten Seite einen trüben Charakter annehmen soll, dann sind sowohl Farbdifferenzierungen als auch verschiedene Ausdrucksabsichten anvisiert. Daneben gibt es Vorlagen auf schwarzem oder grauem Untergrund (Abb. 28), die zum Einsatz unterschiedlicher Farbmaterialien herausfordern, da z.B. ein Feuerwerk auf Schwarz nur mit Deckfarben zu erzielen ist, während auf weißem Untergrund auch mit Bunt- oder Filzstiften gearbeitet werden kann.

Schluss

Die Malbücher sind seit ihrer Entstehung und Verbreitung im 19. Jahrhundert bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts fast ausschließlich zum reinen Ausmalen von vorgegebenen Umrissen nach einer farbigen Vorlage konzipiert.

Abb. 29: Eine Seite aus Greenaways Malbuch für das kleine Volk

Abb. 30: Werbung für den dazugehörigen Malkasten um 1890

Im 19. Jahrhundert wird dabei noch sehr großer Wert auf das verwendete Farbmaterial gelegt, das sich aus einem großen Pool verschiedener Pigmente speist, wobei man derem individuellen Verhalten jeweils Rechnung trägt. So zeigt etwa die Farbtabelle (Abb. 3) aus dem Malbuch von 1811, welcher Farbein-druck sich jeweils aus der Mischung verschiedener Farbmittel erzeugen lässt. Auch bei Ziehnert (Abb. 5./6) werden einzelne Mischungen genau angegeben, was sich auch noch 1899 bei Godron findet (Abb. 15), der auch einen passenden Farbkasten zu seinem Malbuch vertreibt, wie schon zu Beginn des Jahrhunderts der Verlag des Kleinen Zeichners und Mahlers von 1811. In diese Zeitspanne fällt auch die Herstellung des ersten Malbuchs in den USA, das den Titel The Little Folks' Painting Book trägt [15]. Die Vorlagen (Abb. 29) darin stammen von der englischen Aquarellmalerin Kate Greenaway (1846 - 1901), deren Namen heute immer noch als Illustratorin von Kinderbüchern bekannt ist. Für die deutsche Ausgabe dieses Malbuchs ist eigens ein Farbkasten mit zwölf verschiedenen Pigmenten zusammengestellt (Abb. 30) zum Ausmalen der Vorlagen im Malbuch für das kleine Volk [16].

Abb. 31-1

Abb. 31-2

Abb. 31-3

Abb. 31-4

Abb. 31-5

Abb. 31-6

Abb. 31: Die auf wenige Pigmente begrenzte Palette, die den Malbüchern der Verlage von Raphael Tuck (Abb. 3) um 1900 [17], von Borchmann & Pyra (Abb. 1+2) um 1930 [18] und von der Edition Leonard (Abb. 4) aus dem Jahr 1946 [19] beigegeben waren. Willborchs Spielmappe (oben) beinhaltete statt Pigmentstücke ähnliche Farbstreifen wie bei Whitman (Abb. 20) aus der gleichen Zeit. Die untere Reihe zeigt ein deutsches (Abb. 5) und ein amerikanisches (Abb. 6) Malbuch aus den 1950ern.

Der Umgang mit vielen Einzelpigmenten, unter denen es u.a. mehrere rote, blaue und gelbe gibt, erfordert viel Übung und Erfahrung zum Erreichen einer gewünschten Nuance und ist auf diese Weise einer Sensibilisierung des Farbensehens sehr förderlich. Anders ist es bei der eher begrenzten Anzahl von beigegebenen Farbmaterialien in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (Abb. 31), die zum Teil bis auf die sogenannten Grundfarben Gelb, Rot und Blau reduziert werden wie beispielsweise beim Malbuch des Molling Verlags (Abb. 16/17), bei Schneebeli aus den 1920ern (Abb. 18/19) sowie bei Whitman 1936 (Abb. 20 - 22). Hier wird die zu erzielende Farbnuance nicht mehr durch genaues Hinsehen und Verglei-chen erreicht, sondern durch deduktive Ableitung aus einer theoretischen Vorgabe, die für die Farben-sensibilisierung aufgrund des überwiegend kognitiv angesteuerten Ergebnisses einen Rückschritt markiert. Auch heute gibt es noch Malbücher mit beigefügten Farbkästen, deren Materialqualität jedoch in den meisten Fällen weder zu Fortschritten im kognitiven noch im sensitiven Bereich animiert. Die hier vorgestellten Malbücher mit offeneren Lösungsmöglichkeiten von Hauenstein (Abb. 23/24), Err (Abb. 25/26) und Gomi (Abb. 27/28), die seit der Mitte des 20. Jahrhunderts vereinzelt auftauchen, bieten wieder mehr Potential zu einer differenzierteren Auseinandersetzung mit Farben und auch Farbmaterialien.

Abb. 32: Ausgemalte Vorlage aus einem deutschen Mal-buch um 1920 [20]

Abb. 33: Ausgemalte Vorlage aus einem amerikanischen Malbuch von 1916 [21]

Nur die wenigsten Malbücher sind so akurat ausgemalt wie das Beispiel (Abb. 32), das jedoch auch das einzige in diesem Malbuch aus den 1920er Jahren bleibt. Ungefähr in die gleiche Zeit fällt das Beispiel mit der violetten Ziege (Abb. 33), das extrem stark von der naturalistischen Farbvorlage abweicht. Auch die technische Ausführung deutet darauf hin, dass dieses Malbuch nicht auf die altersgerechten Bedürfnisse des Kindes, speziell was die Anforderung der Farbendifferenziertheit angeht, konzipiert ist. Im-merhin hat sich das Kind hier Spielraum für seine eigenen Experimente genommen. Spätestens jedoch wenn man das Beispiel (Abb. 26) mit in Betracht zieht, wo weder in der angemessenen Technik, noch in der Farbigkeit auf die Vorlage eingegangen wird, muss der didaktische Nutzen von Malbüchern sehr in Frage gestellt werden, zumal wenn sie nur quasi als Zeichen- oder Malheft genutzt werden, das auch völlig ohne Vorlagen auskäme (vgl. 1, S. 11).

Abb. 34: Cover und Doppelseite (farbige vorlage und ausgemaltes Pendant) des Malbuchs „Malübungen" aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, dessen Vorlagen auf einem Raster liegen wie es beim damaligen Netzzeichnen üblich war.

Macht man sich über den Nutzen und den Umgang mit Malbüchern Gedanken, sollte man sich in Erinnerung rufen, dass von ihrer Entstehung und über das ganze 19. Jahrhundert hinweg die Malbücher in ihrer pädagogischen Funktion sowie didaktisch-methodischen Konzeption völlig mit den auf das „Nachmachen" ausgerichteten Zielen und Methoden der damaligen Zeichenlehren [vgl. 22] übereinstimmten. Was den Umgang mit Farbe angeht, der im damaligen „Zeichenunterricht" kaum stattfand, stellten sie eine sinnvolle Ergänzung dar. Letzteres wurde auch durchaus so gesehen. So betont beispielsweise der Zeichenlehrer C. Wolter im Anhang seiner 1878 erschienen Farbenlehre den didaktischen Wert von Vorlagen für das Kolorieren und empfiehlt zu diesem Zweck explizit einige aus seiner Sicht geeignete Malbücher [vgl. 23, S. 53 ff], darunter auch eins mit Soldatenbildern (ähnlich wie Abb. 12/13) sowie diverse „Malübungen" ähnlich (Abb. 34). Auch andere Kunst- und Zeichenlehrer nehmen eine gezielte Auswahl an Malbüchern mit in ihr Literaturverzeichnisse auf, auch noch dort, wo schon neue Wege eingeschlagen werden, wie beispielsweise in Stiehlers „Neuland - Kraftbildendes Zeichnen" von 1906 [vgl. 24, S. 126].

Ein weiteres Indiz für die enge Verzahnung von Malbüchern und Zeichenunterricht im 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind Leute wie Godron und Schneebeli, die gleichzeitig Malbuchautoren und Autoren von Lehrwerken für den Zeichen- und Kunstunterricht waren, bzw. sogar selbst als Lehrer unter-richteten. Zu letzteren zählt u.a. auch Reformpädagoge Richard Rothe, der mit seinem „Methodisches Skizzenbuch für den Zeichenunterricht" von 1925 [25] sehr in die nähe der Malbücher rückt.

Auch in einigen Malbüchern selbst ist die Verbindung zur Schule ablesbar, so etwa bei einem von Wolter empfohlenen Malbuch „Neue Malübungen in bunten Flächenmustern" aus den 1870er Jahren [vgl. 22, S. 54], dessen Motive sich mit denen des damaligen Zeichenunterrichts decken. Ein besonders schönes Beispiel stellen die „Malübungen" aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts dar (Abb. 34), wo sich sowohl die farbige als auch die auszumalende Umrissvorlage auf einem Raster befinden, das an das damals weit verbreitete Stuhlmannsche Netzzeichnen erinnert, obwohl das Netz in diesem Fall völlig überflüssig ist, da es nur dem Zeichnen von Umrissen dient, beim Kolorieren jedoch keinen Sinn macht.

Heute stehen wir vor dem Problem, dass sich der Kunstunterricht mit seinen Zielsetzungen radikal gewandelt hat, die alten Malbuchtypen aber immer noch den Markt beherrschen. Das Potential einiger Kreativmalbücher gibt Anlass zur Hoffnung, dass die bestehende Kluft zwischen Malbuchherstellern und der Kunstpädagogik überbrückt werden kann. Bleibt die Frage, ob sich die Kunstpädagogik dieser Herausforderung stellen will.


Literatur

  • [1] Schwarz, Andreas: Malbücher - (k)eine Herausforderung für die Kunstpädagogik? In: BDK-Mitteilungen 1 (2011), S. 8 - 12
  • [2] Kidgell, Jean: Fables originals. London: Jaques Robson 1763
  • [3] Anonym: Der kleine Zeichner und Mahler, oder praktische Anweisung zum Zeichnen und Illuminiren so wie auch zur Selbstbereitung und Mischung der Farben, nebst einer Farbentabelle. Pirna: Carl August Friese 1811 (Quelle: Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung des Deutschen Instituts für Interna-tionale Pädagogische Forschung, AD 8840 ; CD 907 ; RF 40)
  • [4] Ziehnert, Widar: Neues Bilder-Allerlei für gute Kinder. Annaberg: Rudoph & Dieterici, um 1835
  • [5] Anonym: Colorir-Uebungshefte. Esslingen: Schreiber, o.J.
  • [6] Couleru: Nouveau Cours élémentaire de Coloris et d'Aquarelle suivi de considérations sur la peinture orientale suivi de Considérations sur la Peinture Orientale. Paris: Schneider, um 1860
  • [7] Couleru: Nouveau Cours de Coloris et d'Aquarelle. Paris: Ch. Noblet 1877
  • [8] Godron, Richard: Mal- und Zeichenbuch für die Jugend. München: Max Kellerer 1899
  • [9] Anonym: Geschichte der Farben. Ein Malbuch. Hannover: Molling & Comp., o.J.
  • [10] Schneebeli, William: Wie lerne ich malen? Praktische Anleitung zum Malen. Erster Teil: Die Grund-farben und ihre Mischungen. Zweiter Teil: Farben-Abstufungen. Dritter Teil: Farben-Zusammenstellungen. Vierter Teil: Farben-Stimmungen. Luzern: Edition Color A.G. um 1920
  • [11] Whitman: ABC Paint Book with Paints. 1936
  • [12] Hauenstein, Richard: Male mit Überlegung. Verlags-Nr. 50672. Altenburg, Thüringen: Richard Hau-enstein 1950
  • [13] Err, Hans: 1000 Farben - und deine! Ein Bilder - Lese - Malbuch. Hannover: Fackelträger 1972
  • [14] Gomi, Taro: Das große Malbuch. Zeichnen - Kritzeln - Kreativ sein. München: Hanser Verlag 2009
  • [15] Greenaway, Kate: The Little Folks Painting Book. New York: McLoughlin Bros. 1879
  • [16] Greenaway, Kate: Malbuch für das kleine Volk. München: Theo Stroefer, o.J.
  • [um 1890]
  • [17] Anonym: Onkel Tuck's Bauernhof. Malbuch complet mit Farben. London-Berlin: Raphael Tuck & Sons, o. J.
  • [18] Anonym: Willborchs Spielmappe 3. Neuwied: Borchman & Pyra, o.J.
  • [19] Anonym: L'arche de Noe. 26 animaux a colorier avec palette detachable. O. O: Edition Leonard 1946
  • [20] Anonym: Was unser Kind malen kann. O.O., O.J.
  • [21] Anonym: Sunshine Painting and Drawing Book. New York: Charles E. Graham & Co. 1916
  • [22] Legler, Wolfgang: „Man mache es also genau nach, und übereile sich nicht ..." Eine (illustrierte) Kurzgeschichte des „Nachmachens" von der Meisterlehre bis zur Entdeckung der freien Kinderzeich-nung. In: K+U 190 (1995), S. 16 - 21
  • [23] Wolter, C.: Kleine Farbenlehre für Schule und Haus, nebst Anweisung, wie man Kinder im Hause in rechter Art und Weise mit dem Farbkasten zu beschäftigen hat. Ludwigslust: Hinstorff'sche Hofbuch-handlung 1878
  • [24] Stiehler, G.: Neuland - Kraftbildendes Zeichnen. Reformideen für einen Zeichenunterricht auf phy-siologischer und psychologischer Grundlage. Leipzig: Dürr 1906
  • [25] Rothe, Richard: Methodisches Skizzenbuch für den Zeichenunterricht. III. Teil Herbst. Wien: Deut-scher Verlag für Jugend und Volk 1925